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Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Brüste und nicht für großen Langmut anderer Leute Kindern gegenüber zuständig zu sein.

    Ich war nie besonders kinderlieb. Es kommt eben aufs Kind an. Wie bei allen anderen Lebewesen ja auch. Ich mag keine kleinen Hunde, keine jovialen Männer, keine piepstimmigen Frauchen und keine Kinder, die sich in der Reihe vor mir mit Cola bespucken. Und ganz besonders schwer tue ich mich, ehrlich gesagt, mit Eltern.
    Ich wohne sowohl in Hamburg als auch in Berlin in Stadtteilen, in denen einem die Lust aufs Kinderkriegen leicht vergeht, sobald man sich die dort prototypischen Mütter und Väter näher anschaut.
    Im Prenzlauer Berg sind die Eltern so lässig, dass es einen graust. Ich habe den Verdacht, dass die Eltern dort ihren kleinen Mädchen absichtlich Dreck ins Gesicht und auf die Latzhose schmieren, damit sie aussehen wie coole Gören.
    Babys gehören dort zur Gattung der Traglinge, stecken in bunt bedruckten Tüchern und tragen Mützchen, die schon aus zehn Metern Entfernung so aussehen, als würden sie kratzen und nach feuchtem Schaf stinken.
    Das neugeborene Berlin-Baby wird gerne überallhin mitgenommen, auf Lesungen, Demos und Partys, wo es in seinem Beutel an Leuten baumelt, denen du schon an ihrem Tanzstil ansiehst, dass sie gegen Atomkraft sind, aber nichts gegen Ausländer haben.
    Alle irre tolerant. Aber wehe, du erzählst, dass eine Freundin von dir ihrem Kind Gläschenkost gibt. Dann sind die drauf und dran, das Jugendamt zu informieren.
    Das Neugeborene aus dem noblen Hamburg-Harvestehude hingegen wird gerne im panzerartigen «Audi Q7» von Frauen herumgefahren, die irgendwo einen Eid abgelegt haben, nur in zweiter Reihe zu parken und dadurch Straßen zu blockieren.
    Komplett in Prada oder Burberry gekleidete Kinder werden aus diesen Autos gehoben von Müttern, die alle gleich aussehen – von hinten wie fünfzehn und von vorne genauso alt und diätzerfressen, wie sie sind.
    Werde ich eine dieser Mütter sein? Ehrgeizig, verblendet, unlocker und unsympathisch? Werden meine dann dünnen Knöchel-Beinchen in Ugg-Boots stecken, werde ich heimlich auf dem Spielplatz versuchen, einer anderen Familie die Nanny abzuwerben, werde ich dem Kindergarten ein neues Klettergerüst spenden, damit mein Kind auf der Warteliste vorrückt, und werde ich irgendwann auch vergessen, dass nur Kackbratzen in der zweiten Reihe parken?
    Ich habe da einige sehr unschöne und völlig unerwartete Mutterschafts-Mutationen im Bekanntenkreis miterleben müssen.
    Aus witzigen, aufmerksamen, lässigen Frauen waren nach der Niederkunft verspannte Glucken geworden, die ihrem Kind einen unmöglichen Vornamen gaben und ständig Still-, Kack- und Baby-Anekdoten erzählten – von denen nahezu einhundert Prozent nicht mal ansatzweise lustig waren.
    «Du, der Franz-Leander sagt immer Briefei statt Grießbrei, und statt Fahrrad sagt er A A!»
    Aha. Ja und? Was wird da erwartet? Dass ich schallend lachend zusammenbreche oder mir den Mords-Witz aufschreibe, damit ich ihn auf keinen Fall vergesse?
    Viele Mütter, die ich erlebe, sind ständig übermüdet und gestresst. Einige regelrecht verblödet, weil ihnen der Schlaf fehlt und ein Gegenüber, mit dem man in ganzen, vernünftigen Sätzen sprechen kann.
    Mütter halten sich zwar für ganz normale Menschen, aber das sind sie nicht. Mütter werden zu befremdlichen Wesen, die nichts dabei finden, beim Kuchenessen über klumpig-blutige Nachgeburten, Babys Durchfall, Babys Nasenschleim und Babys Koliken zu sprechen. Sie vergleichen ihre Kaiserschnittnarben, tauschen Tipps aus, mit welchem Schleim man wunde Brustwarzen behandelt und wie oft man die Dammschnittnarbe mit welchem Öl einmassieren sollte.
    Es ist auch immer wieder erstaunlich, festzustellen, wie ein eben noch kritischer, ironischer, weltoffener Mensch auf einen Schlag jegliche Objektivität verliert, sobald man ihn mit einem selbstgezeugten Baby konfrontiert.
    Wie anders ist es zu erklären, dass die Mehrzahl der Eltern mit ihren Kindern recht zufrieden zu sein scheint?
    Mütter sind schlichtweg nicht in der Lage, Optik und Verhalten ihrer Kinder der Realität entsprechend wahrzunehmen. Hals- und profillose Mondgesichter werden als «Charakterköpfe» bezeichnet, unförmige fleischige Kartoffelgummeln als «Charakternasen». Unausgeglichene Schreihälse mit erhöhtem Aggressionspotenzial werden als «besonders aufgeweckt» beschrieben, während verschüchterte Angsthasen mit Hang zu Koliken und Brechdurchfall gerne als «besonders
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