Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
Vom Netzwerk:
Fotografen, Blitzlichter. Ich strahlte, was das Zeug hielt, und wollte mir gerade wie Nicole Kidman vorkommen, als ein Fotograf mir zurief: «Bitte schauen Sie hierher, Frau Huettner!»
    Für Fotos schämt man sich übrigens immer. Entweder du bist derart ungünstig getroffen – rote Augen, Pfannkuchengesicht und, nun ja, eben ein Hintern wie ein Hubschrauberlandeplatz –, dass du dich am liebsten auf der Stelle vor Entsetzen entleiben möchtest.
    Oder aber du bist nach mehreren Stunden Styling so schön, dass du dich fragst, wie du mit deinem ursprünglichen Aussehen weiterleben sollst.
    Erst letzte Woche rief mich eine Schülerin an, um mich für eine Hausaufgabe zu interviewen. Es gelang ihr noch, mir mitzuteilen, dass ihr Deutschlehrer von der Idee nicht begeistert gewesen war und vorgeschlagen hatte, sie solle sich doch lieber mit der Lyrikerin Ulla Hahn auseinandersetzen. Dann versagte dem Mädchen vor Nervosität die Stimme.
    Hallo, dachte ich gerührt, kein Grund zur Aufregung. Ich bin’s doch nur, die olle Kürthy! War heute wieder nicht beim Sport. Bin neulich mit einem hohen Absatz vor allen Leuten im Gullydeckel stecken geblieben. Mein Mann versteckt zu Hause die Süßigkeiten vor mir. Ich bekomme kein Kind, obschon ich mir eines wünsche, und ein zweites Kinn, obschon ich mir keines wünsche. Und auch meinem Bindegewebe ist es im Übrigen völlig egal, wie viele Bücher ich verkauft habe.
    Normal eben.
    Berühmt ist man ja nur für andere, und auch ich selbst kenne mich leider zu gut, um länger als ein paar Sekunden von mir beeindruckt zu sein.
    Bis jetzt.
    Denn jetzt bin ich drauf und dran, ein anderer Mensch zu werden. Einer, den ich bisher noch nicht kannte: eine Mutter.
    Mein größter Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Ausgerechnet jetzt, wo ich endlich eine gute Figur, eine Zweitwohnung in Berlin und mir das Wünschen abgewöhnt habe.
    Ein Zufall? Höchstwahrscheinlich nicht.
    Ich bin schwanger.
    Es wird jemanden geben, den ich sein Leben lang begleite. Ich werde nie wieder ohne Angst sein, denn ich werde etwas Ungeheuerliches zu verlieren haben.
    Ich werde nie wieder frei sein. Ich werde einen wunden Punkt haben, lebenslang, eine Stelle, an der man mich mit wenig Aufwand zu Tode verletzen kann. Und was erwartet mich für ein Glück? Was für eine Liebe? Eine bedingungslose?
    Wirklich?
    Werde ich meinen Sohn auch lieben können, wenn er hundertdreißig Kilo wiegt und Fahrlehrer werden will, oder meine Tochter, wenn sie mit achtzehn beschließt, sich ein Arschgeweih tätowieren zu lassen und Weihnachten bei den Eltern ihres Idioten-Freundes zu feiern?
    Da geht mir ja jetzt schon das Messer in der Hose auf.
    Ich versuche mich zu beruhigen. Erst mal die nächsten kritischen Wochen hinter mich bringen. Dann ist noch genug Zeit, sich über Drogen, Schweinefleisch, Sexualpartner und andere unerwünschte Störenfriede im Leben meines Kindes zu informieren.
    Das andere Leben, das jetzt plötzlich vor mir liegt, ist reine Theorie. Genauso wie der Vielzeller in den Tiefen meiner Gebärmutter.
    Ich horche angestrengt in mich hinein.
    Empfange ich Signale aus fremden Welten?
    Spüre ich, dass ich zwei bin?
    Nein.
    Vielleicht bin ich zu unsensibel?
    Erst neulich habe ich meinen/unseren zehnten Hochzeitstag vergessen. Und dass mein Mann eine neue Uhr hat, habe ich auch erst gemerkt, als er von einem gemeinsamen Bekannten darauf angesprochen wurde.
    Und jetzt fühle ich nichts in meinem Bauch. Außer Appetit. Der Normalzustand für mich, da brauch ich nicht sensibel für zu sein.
    Was soll mein Kind von mir denken? Kaum gezeugt und schon vernachlässigt. Ob ich eine schlechte Mutter werde? Egoistisch und lieblos? Oder eine hyperventilierende Megamama? Eine Stillfanatikerin? Eine militante Rohkostschnipplerin? Eine Rabenmutter, die ihr Baby im Autositz vergisst?
    Werde ich alles falsch machen? Oder nur fast alles?

30. August, auf dem Rückflug von Ibiza nach Hamburg
    Zustand: Höhenangst! Ich kralle mich am Sitz fest und nehme meinem Mann das Versprechen ab, dass er mit unserem Kind all diese schrecklichen Dinge tun wird wie Riesenrad fahren, die Achterbahn besteigen oder den Fernsehturm besichtigen. Ich werde lediglich vom Erdboden aus zusehen und Zuckerwatte oder Paradiesäpfel essen. 
     
    I n der Reihe vor uns sitzt eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Ich bemühe mich, das ständige Gezanke und Geschrei nicht als störend zu empfinden. Die Schwangerschaftshormone scheinen jedoch nur für große
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher