Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
Vom Netzwerk:
an seinem Unterschenkel festketten.
    Mit einem Mal entwickelte ich Verständnis für Tom Cruise, der sich ein eigenes Ultraschallgerät gekauft hatte, um die Schwangerschaft seiner Frau täglich und persönlich zu überwachen. «Ach ja, immer diese Starallüren», hatte ich den armen Mann leichtfertig vorverurteilt – aber da kannte ich noch nicht die Erleichterung, mit der man den kleinen, zuckenden Klumpen auf dem Bildschirm anbetet, und die Unruhe, wenn man ihn weder sieht noch spürt.
    Jetzt hätte ich auch gerne ein tragbares Ultraschallgerät. Und einen dazu passenden tragbaren Gynäkologen.
    Erschreckend, wie viele Sorgen man sich bereits um ein Kind machen kann, das noch nicht mal Hände hat, um sich damit einen Joint zu drehen, oder Beine, um damit für ein Jahr ins feindliche Ausland zu gehen.
    Es ist schon beunruhigend, wie selbstverständlich und selbständig ein Körper eine Schwangerschaft bewerkstelligt. Abgesehen von der Einnahme von Folsäuretabletten und der regelmäßigen Zupfmassage – mit der ich vorsichtshalber schon weit vor der Zeugung begonnen habe, denn mein Bindegewebe ist nicht das allerzuverlässigste – geschieht alles von ganz allein und natürlich.
    Aber was ist heute schon natürlich? Das ist eine gewaltige und irritierende Erfahrung für eine einigermaßen moderne Frau, die es gewohnt ist, Einfluss zu nehmen, selbst zu bestimmen, und bei der das einzig «Natürliche» ihr Make-up und die bernsteinfarbenen Strähnchen im Haar sind.
    Würde ich nach meinem ganz natürlichen Gefühl gehen, würde ich sicherheitshalber schon jetzt einen Kreißsaal buchen, den Chefarzt sowie den Anästhesisten in ständiger Rufbereitschaft halten und meinem Gynäkologen eine anderthalbjährige Urlaubssperre verordnen. Ist doch wahr.
    Mein Mann hält sich bei alledem eher zurück. Eine innere Haltung, die ihm als gebürtigem Hamburger nicht weiter schwerfällt. Er meinte eben beim Abendessen: «Sag Bescheid, wenn ich mich freuen darf.»
    «Mach ich», antwortete ich.
    Dann ging ich brechen.

6. Oktober
    Schwangerschaftswoche: 10 + 4 Tage 
    Zustand: Vier Wochen später, ich kotze immer noch.
     
    D er Vater des Übeltäters steht oft gerührt neben mir und freut sich, während ich über der Kloschüssel, dem Straßengraben oder einem hastig herbeigeholten, leidlich zweckmäßigen Gefäß hänge.
    Er liebt es, wenn ich breche, weil das ein sicheres Zeichen dafür ist, dass ich wirklich schwanger bin und es seinem mittlerweile zwei Zentimeter großen Kind gutgeht.
    So unhanseatisch selig lächelnd habe ich ihn selten gesehen, wie wenn ich grün verfärbt in Richtung WC renne.
    Und mir geht es tatsächlich ähnlich. Wenn mir übel ist, denke ich würgend, aber zufrieden:
1.) Hey, super, du bist noch da!
2.) Hey, super, du bist bestimmt ein Mädchen, denn ich habe gelesen, dass Frauen, die Mädchen kriegen, signifikant häufiger schlecht ist als Jungsmüttern.
3.) Und hey, ich glaube, ich brauche was zu essen!
     
    Und mit «was zu essen» meine ich nicht etwa Möhrenrohkost oder ein paar sanft gewürzte Gurkenscheiben. Ich spreche von dem, was auf Autobahnraststätten «Fernfahrerteller» heißt: Erbsen und Möhrchen mit Kartoffelbrei, Cordon bleu und reichlich dunkler Rahmbratensauce.
    Ich kann nicht anders! Ich muss essen oder brechen. Und dann doch, so meine ganz persönliche Meinung, lieber essen.
    Ich führe jetzt ständig eine Tüte Kräcker oder anderes Knabbergebäck bei mir. Neulich lud mich ein Mann von Rang ins feine Hamburger Restaurant «Tafelhaus» ein. Bevor der Ausnahmezustand in meinem Unterleib begann, aß ich dort sehr gern. Diesmal aber wurde mir schon bei der Lektüre der Speisekarte übel.
    Gut, dass ich auf einen Tisch in Nähe der Toiletten bestanden, und gut, dass ich eine nahezu volle Tüte Erdnussflips dabeihatte. So brachten wir den Abend einigermaßen würdevoll über die Bühne, und immerhin wurde mein Begleiter mit einer ungewöhnlich imposanten Aussicht auf den Hamburger Hafen und in mein Dekolleté belohnt.
    Dazu muss man sagen, dass ich absolut zu der Sorte Frau gehöre, der ein Mann üblicherweise zunächst in die Augen blickt, um dann seinen Blick ganz langsam eventuell auch mal auf meinen Mund oder auf meine Halskette wandern zu lassen. Tiefer geht’s normalerweise nicht. Warum auch? Meine Körbchengröße befindet sich oftmals, je nach BH-Modell, im nicht messbaren Bereich. Der Erfinder des Push-ups hätte meiner Meinung nach den Friedensnobelpreis verdient,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher