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Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
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sensibel» und «intelligent» hochgejubelt werden.
    Man kann mit Müttern nicht wie mit normalen Menschen reden und umgehen. Sie haben völlig vergessen, wie schauerlich es für einen normal empfindenden Menschen ist, in einem Café zu sitzen, das angesteuert wird von vier Müttern, vier Kinderwagen, vier überdimensionalen Wickeltaschen und vier Babys – drei davon schreiend. Sie haben vergessen, dass der Geruch einer gutgefüllten Windel nur für Verwandte ersten Grades des Geruchsverursachers erträglich ist und dass eine Mutter befremdlich wirkt, wenn sie sich im überfüllten Bus plötzlich über ihr Kind beugt und verzückt schreit: «Haddi Mami das kleine Pullemätzchen so liiiiiep!»
    Neulich hatte ich bei einem sehr offiziellen Abendessen das Pech, an einem Tisch mit drei frischgebackenen Elternpaaren zu sitzen. Zunächst unterhielten sie sich darüber, wo Baby schon überall hingekotzt hatte – «Leopold liebt Papas Smokinghemd!» – und wie man Baby am besten zum Schlafen bringt: «Meiner braucht im Schnitt drei ‹La le lus› und zweieinhalb ‹Weißt du, wie viel Sternlein stehen?›.»
    Schließlich fragte jemand: «Wie nennt ihr denn eigentlich das große Geschäft eurer Kinder?»
    Das große Geschäft? Ich dachte, ich höre nicht richtig. Würde ich jetzt, so kurz vor der Hauptspeise, einem Gespräch über Kinderscheiße lauschen müssen?
    Die Tischgesellschaft stieg mit Elan auf die Thematik ein.
    «Puhpuhpuh», rief Olaf Hildebrandt, renommierter Steueranwalt.
    «Stinkistink», konterte Walter Berg, Unternehmenssprecher eines Energiekonzerns. «Oder Pupsipup. Je nach Geruch und Konsistenz.»
    «Fuffi», zwitscherte Karen Kemmer, die einen Doktor in Biophysik hat.
    «Fuffi?», fragte daraufhin Herr Berg erstaunt. «So heißt unser Au-pair.»
    Nein, was hat die Runde da gelacht.
    Bis jemand fragte: «Warum sagen Sie denn nicht einfach Kacke?»
    Das war ich.

«Die schönsten Zeiten in meinem Leben
    waren immer die, in denen ich schwanger war.
    Da brauchte ich keinem etwas vorzuspielen,
    musste nicht schöner sein, als ich bin.»
    JANE BIRKIN
    9. September
    Schwangerschaftswoche: 6 + 6 Tage 
    Gewicht: Tendenz: steigend.
    Zustand: Ich ringe mit mir, meinen Gynäkologen zu bitten, in unser Gästezimmer einzuziehen. Nur zur Sicherheit und bloß für die nächsten acht Monate.
     
    V or einer Stunde habe ich eine kurze Sammel-SMS an drei Freundinnen, meinen besten Freund und meine Schwiegermutter geschickt. Ganz entgegen meinem festen Vorsatz, die Schwangerschaft zunächst für mich zu behalten, schrieb ich:
    «DAS HERZCHEN SCHLÄGT!!!»
    Nach dem Besuch bei meinem Frauenarzt – ich gehe jetzt davon aus, dass er in den nächsten Monaten eine zentrale Rolle in meinem Leben spielen wird – saß ich zunächst zehn Minuten benommen im parkenden Auto.
    Es lebt.
    Ich bin nicht gerade eine Spitzenkraft, wenn es darum geht, auf Ultraschallbildern etwas zu erkennen. Ob Milz oder Gallenblase, Bauchspeicheldrüse oder Nierchen – für mich sieht alles aus wie verkochtes Gulasch. Aber ein pulsierendes Herz bleibt selbst mir nicht lange verborgen.
    «Sie sind jetzt in der siebten Schwangerschaftswoche. Und es ist alles ganz genau so, wie es sein sollte», sagte der Doktor, als er begann, das Gel von meinem Bauch abzuwischen. Ich bat ihn, zur Sicherheit noch mal kurz nachzuschauen.
    Und Tatsache: Das Herz schlug immer noch.
    Aber was, wenn es wieder aufhören würde?
    Ich bin eine Spätgebärende! Eine Risikoschwangere! Dreißig Prozent Fehlgeburten in den ersten zwölf Wochen! Ich kann mir ja keine einzige Zahl merken, aber diese hatte sich leider unauslöschlich in mein Langzeitgedächtnis gebrannt.
    Kann ich nicht irgendetwas tun, um das kleine Herzchen beim Weiterschlagen zu unterstützen? Homöopathie? Magie? Eine Spende für die Kirche? Für welche? Hochdosiertes Magnesium? Reflexzonenmassage? Shiatsu, Tai-Chi, Bamigoreng, autogenes Training oder ein hochwirksames prophylaktisches Antibiotikum gegen Herzstillstand bei Embryonen?
    «Positives Denken und ein Präparat mit Folsäure, das reicht», sagte der Doktor ungerührt.
    Das reicht? Soll das ein Scherz sein?
    Der Arzt reichte mir die Hand. «Wir sehen uns in vier Wochen wieder. Wenn Sie unsicher sind oder Beschwerden haben, melden Sie sich vorher.»
    «Könnte ich eventuell morgen Vormittag einen Termin bekommen?», fragte ich.
    Der Mann hielt das für einen Witz.
    Am liebsten würde ich mich mit meinem Fahrradschloss für die nächsten acht Monate
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