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Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
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dazugeliefert.
    Verdammt, ich muss los, meinen Sohn aus der Kita befreien!

«Eines Tages werde ich sie allein rauslassen
    müssen – wenn sie fünfunddreißig sind, zum Beispiel –,
    und vielleicht ist dann jemand eklig zu ihnen,
    und ich bin nicht dabei, um dem Kerl
    das Licht auszublasen.»
    ANNE ENRIGHT
    21. April um 23 Uhr 35
    D er erste Geburtstag!
    Schon ein Jahr!
    Erst ein Jahr!
    Am Ende dieser zwölf Monate Leben mit Kind lauert noch eine ganz besondere Herausforderung: der Kindergeburtstag.
    Da ich mich ja in mehreren Krabbel-, PEKiP- und Rückbildungsgruppen engagiert habe, war ich in den letzten Wochen beinahe täglich auf ersten Geburtstagen eingeladen.
    Man muss es ganz deutlich sagen: Je größer der Kreis der Feiernden, desto größer die Erleichterung, wenn das Ganze vorbei ist.
    Bei Hugos Party waren beispielsweise neunzehn Kinder plus dazugehörige Mütter anwesend. Der Boden war übersät mit Spielzeug, Dinkelstangen und Babys. Ständig musste man höllisch aufpassen, nicht auf dieses oder jenes draufzutreten. Nach einer halben Stunde in diesem Gewimmel bemerkte ich plötzlich das Fehlen meines Sohnes.
    So schnell es der fast lückenlos bedeckte Fußboden zuließ, nahm ich die Verfolgung auf. Ich sah ihn nicht. Aber ich hörte ihn. Ähnlich fieberhaft, wie man nach dem klingelnden Handy in der überfüllten Handtasche sucht, suchte ich nach meinem schreienden Baby.
    Ich fand Schlömchen schließlich in einem Stofftunnel. Er steckte zwischen zwei Kindern fest, die sich partout nicht von der Stelle bewegen wollten. Die beiden mussten von ihren Müttern mit Drohungen und Beschwörungen herausgelockt werden, erst dann konnte ich mein verstörtes Kind endlich befreien.
    Nebenbei bemerkt war mir und meinem Sohn ein solcher Tunnel nicht fremd. Soweit ich weiß, war er das einzige Kind, das je in einem PEKiP-Kurs angstfrei und ohne Zögern in einen baugleichen Tunnel hineingekrabbelt war und auf halber Strecke ganz entspannt ein Päuschen eingelegt und reingekackt hatte.
    Ich hatte es damals mit Humor genommen. Die anderen Mütter nicht. Ich meine, wenn man schon undichte Wesen ohne funktionierende Schließmuskeln absichtlich unbekleidet herumkrabbeln lässt, dann braucht man sich über das ein oder andere Häufchen ja wohl nicht zu wundern.
    Die PEKiP-Gruppenleiterin sah die Angelegenheit nicht ganz so entspannt. Begleitet von bösen Blicken und vorwurfsvollem Schweigen säuberte sie den Stofftunnel mit einer Dosis Sagrotan, die ausgereicht hätte, ein Heim für schwererziehbare Bettnässer zu desinfizieren.
    Schlomos erster Geburtstag war ein wunderbares Fest. Außer meinem war kein anderes Kind anwesend. Die Paten und Großeltern überreichten ihre Geschenke, unter anderem einen Stofftunnel. Dann kam die Lieblingsbabysitterin, und mein Junge war froh, uns los zu sein. Wir sind dann schön in Ruhe essen gegangen und haben uns Fotos und Videos von Schlomo angeschaut.
     
    Ein Jahr ist vergangen.
    Und mein Leben ist nicht mehr wiederzuerkennen.
    Manchmal finde ich es schade, dass ich die Zeit ohne Kind nicht mehr geschätzt habe. Die simplen Dinge. Wie gedankenlos hat man sich sonntagmorgens um zehn noch mal umgedreht. Wie selbstverständlich spontane Einladungen angenommen. Durchgearbeitet, durchgeschlafen, durchgemacht.
    Manchmal bin ich froh, dass ich vorher nicht so ganz genau wusste, was auf mich zukommt: die Geburt. Und, fast noch schlimmer, der Geburtsvorbereitungskurs. Den eigenen Rhythmus komplett aufgeben zu müssen. Die ständige Angst, etwas falsch zu machen. Die unvergleichliche Angst, du könntest dieses unvergleichlich geliebte Menschlein wieder verlieren.
    Manchmal frage ich mich, wie ich leben konnte, ohne dass einer «Mama» zu mir sagt. Ab und zu stutze ich kurz, bis mir klar wird: «Mensch, der meint ja mich!»

    Und manchmal schaue ich mir selbst beim Muttersein zu – wie durch ein erleuchtetes Fenster von der Straße aus: Ich sehe, wie sie ihrem Sohn die Haare aus der Stirn streicht, seine Augenlider küsst, wie er in ihrem Arm einschläft, weil er denkt, alles wird gut, wenn seine Mutter da ist. Sie knipst das Nachtlicht an, deckt ihr Kind wärmer zu und schließt die Vorhänge.
    Und dann kann ich kaum glauben, dass das mein Leben ist.
     
    Ein Jahr ist vergangen.
    Ein unvergleichliches.
    Vielleicht schreibe ich ein Buch darüber. Übers Kinderkriegen und Kinderhaben. Über Glück, Zweifel, Angst und Wut. Über mich und meine Familie.
    Den Anfang hab ich schon:
     
    «Ich
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