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Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Autoren: Ildikó von Kürthy
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kleine Sohn einer Freundin hatte zweimal noch etwas Pup am Hoden, als sie ihn nach der Kita bei sich zu Hause gewickelt hat», sagte Bettina und schwieg anschließend gewichtig.
    Pup am Hoden?
    Habe ich richtig gehört?
    Befinde ich mich hier wirklich in einem Raum mit Menschen, denen die Worte «Pup am Hoden» aus dem Mund kommen? Was ist bloß aus mir geworden?
    Ich sagte: «Der Kleine hatte noch Kacke am Sack, und deswegen wollte deine Freundin die Kita wechseln?»
    «Die Wichtigkeit der hygienischen Bedingungen in Kindertageseinrichtungen ist nicht zu unterschätzen», sagte Bettina spitz und wandte sich auf der Suche nach einer verständnisvolleren Gesprächspartnerin ab.
    Ich bin ja durchaus ein Wesen mit etlichen fragwürdigen Charakterzügen, aber ich bin dankbar und froh, dass überhaupt Menschen Berufe ergreifen, die beinhalten, meinem Sohn die Scheiße vom Hintern zu wischen. Wenn ich keine Kontaktlinsen drinnen habe, übersehe ich ständig irgendwelche Kackreste – ohne mich deswegen als schlechte Mutter zu geißeln oder die hygienischen Zustände bei uns zu Hause dem Umweltbundesamt zu melden.
    PUP AM HODEN.
    Ich fasse es nicht.

«Die Welt wird jedes Mal neu erschaffen,
    wenn ein Kind geboren wird.
    Geboren zu werden, bedeutet, dass uns eine
    ganze Welt geschenkt wird.»
    JOSTEIN GAARDER
    15. April
    Zustand Kind: Unser Sohn wird in einer Woche ein Jahr alt. Er kann krabbeln, winken und «Nei!» sagen. Er geht seit zwei Wochen in die Krippe und fühlt sich dort geradezu unverschämt wohl. 
    Zustand Mutter: Diese Mischung aus Freiheit und Leere, wenn ich die Kita verlasse, ist ein unglaubliches Gefühl. Ich habe ein Stück eigenes Leben zurückbekommen und empfinde das mal als Gewinn und mal als Verlust. 
     
    S chlomo ist in der Krippe, und ich kann endlich tun, was ich will. Aber: Was will ich denn? Ich bin das selbstbestimmte Leben nicht mehr gewohnt.
    Jetzt bin ich wieder verantwortlich. Von halb zehn bis halb drei. Meine Zeit. Fünf Stunden. Diese Stille. Ganz eigenartig ist es, ungestört einen Text zu schreiben oder ein Telefoninterview zu führen.
    Mein Jahr zu Hause ist vorbei und mit ihm die Schonfrist. Ich muss wieder mehr Geld verdienen und mehr Pfunde verlieren. Ich bin nicht mehr hauptberuflich Mutter, und niemand hindert mich mehr daran, zu arbeiten, zu joggen und Pläne in die Tat umzusetzen.
    Ich war mir doch so sicher, dass ich diese Zeit genießen würde. Habe sie so oft herbeigesehnt an den sich endlos hinziehenden Vormittagen auf dem Spielplatz und in den langen, langen Nächten, die ich glaubte gelassener ertragen zu können, wenn erst die Tage erfüllter und produktiver würden.
    Und jetzt? Jetzt ist es da, das schlechte Gewissen.
    Aus heiterem Himmel, grundlos, denn mein kleiner Junge liebt es, in die Krippe zu gehen. Er isst dort, er schläft dort und weint mir nicht eine Träne nach, wenn ich ihn morgens verabschiede.
    Alles gut. Oder?
    In «Das Eva-Prinzip» von Eva Herman, dem schlimmsten Buch der Welt, habe ich in dem Kapitel «Das Leid der Wehrlosen» gelesen:
     
    «Es ist ein Alarmzeichen, wenn ein Kind auf das Verlassenwerden von der Mutter nicht reagiert. Diese Kinder haben innerlich aufgegeben, haben resigniert.»
     
    Um die Schuldgefühle der berufstätigen Mütter noch mehr zu schüren, lässt Frau Herman eine Dame zu Wort kommen, die sich noch gut daran erinnern kann, wie es war, als sie von ihrer unberatenen Mama im dunklen Osten Deutschlands in der Krippe abgegeben wurde. Die Kindheitserinnerung im Wortlaut:
     
    «Kalt pfeift der Wind zwischen den Neubaublöcken hindurch. Da weht der kalte Wind bis tief in mich hinein, und Verzweiflung würgt im Hals … Ich bestehe nur noch aus panischer Angst. Ein fester Griff umfängt mich. Die Tür geht zu. Die Mutti ist fort! Warum?»
     
    Mir ist die Schäbigkeit solcher Darstellungen bewusst. Dennoch verfehlen sie bei mir leider nicht ihre Wirkung. Mein überempfindliches Mutterherz zweifelt und bangt: Ist die Kita nicht zu anstrengend für eine kleine Babyseele? Dieser Trubel, die vielen Kinder, der Lärm und so lange weg von Mama – ist das nicht unnatürlich? Hat mein zartes Söhnchen sich nur in sein böses Schicksal ergeben, wenn er mir morgens fröhlich nachwinkt?
    «Das ist doch Quatsch», sagt Johanna. «In Frankreich ist es selbstverständlich, dass Mütter nach wenigen Wochen wieder arbeiten gehen. Und sind die Franzosen deshalb ein Volk von Bettnässern und Psychopathen geworden?»
    Ja klar, die glorreichen
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