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Unter dem Eis

Unter dem Eis

Titel: Unter dem Eis
Autoren: Gisa Klönne
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die Macht, meinen Vater am Prügeln zu hindern.«
    Viktor sieht ihn an, aufmerksam, abschätzend. Ein Schuss ins Knie dürfte den Jungen bremsen. Dann hätten sie Gleichstand. Zwei Lahme, die an der Hypothek ihrer Väter tragen.
    »Es hat natürlich nicht funktioniert«, sagt Manni. »Mein Vater landete im Rollstuhl, nur deshalb hat er aufgehört zu prügeln. Aber ich bin trotzdem Bulle geblieben.«
    »Warum?« Viktor macht einen kleinen Schritt auf Manni zu.
    Warum ist es so verdammt wichtig, diesen Mörder zu retten? Manni weiß es nicht, er weiß nur, dass es ihm plötzlich lebenswichtig erscheint.
    »Bulle sein ist das Einzige, was ich kann«, sagt er. »Was willst du werden, Viktor? Was ist dein Traum?«
    Der Junge zuckt die Schultern, sein Gesicht verschließt sich wieder.
    »Du sollst die Firma übernehmen, den Traum deines Vaters leben, richtig? Aber das willst du nicht.«
    Viktor spuckt aus. »Ist doch scheißegal.«
    Ein Schuss ist zu gefährlich, er muss es mit dem Mae tobi geri versuchen. Mit links abspringen, auch wenn das sein schwächeres Sprungbein ist. Das verletzte Bein zum Rammbock machen. Er hat damals mit dem Karatetraining begonnen, um zurückschlagen zu können. Als er das endlich konnte, war es nicht mehr nötig und den Respekt seines Vaters hat es ihm auch nicht eingebracht. Tausend Nadelstiche toben in Mannis Knie, als er das Gewicht verlagert und sich ein weiteres Stückchen auf den Jungen zuschiebt. Immer noch ist die Distanz zu groß.
    »Wir haben deinen Vater verhaftet. Er sagt, er hat Jonny umgebracht.«
    »Scheiße!« Viktor starrt Manni ungläubig an.
    Er will seinen Sohn schützen, hat Judith Krieger vermutet, doch darin hat sie sich geirrt. Hagen Petermann will Viktor kontrollieren, die Familienehre bewahren, die Macht behalten, selbst jetzt noch, wo alles zerbricht. Wieder schiebt er sich ein winziges Stückchen weiter auf Viktor zu. Etwa drei Meter liegen noch zwischen ihnen, mindestens ein Meter zu viel.
    »Sag mir, wie es wirklich war, Viktor. Warum musste Jonny sterben?«
    »Es war doch nur Spaß. Der blöde Hund hat den Trip gefressen und ist auf einmal rumgehetzt wie blöd und hat gekläfft. Dann ist er plötzlich krepiert und Jonny wollte uns verpfeifen. Er wollte meinen Alten mit Dreck beschmeißen, die Firma ruinieren. Wir haben ihn eingesperrt, damit er es sich anders überlegt. Wir wollten ihn nicht umbringen. Wir haben ihm sogar Hamburger gebracht. Plötzlich war er tot!«
    Manni denkt an Karl-Heinz Müllers Obduktionsbericht und an den Bunker. Ihr habt ihm Hamburger gebracht und ihr habt ihn geschlagen, denkt er. Ihr konntet nicht zugeben, dass Jonny stärker war als ihr. Mutiger. Aber zu den Einzelheiten kommen wir später.
    »Wie habt ihr Jonny in den Bunker gebracht und dann später zu dem Teich?«
    Viktor zündet sich eine Zigarette an, ohne Manni aus den Augen zu lassen. »Im Hänger von Ralles Mofa.«
    »Und warum ausgerechnet in den Anglerteich?«
    »Mein Vater hat gesagt, dass ihr Jonnys Alten sucht. Ich wusste, dass der da angelt. Und wo ihr doch den Scheißdackel in Frimmersdorf gefunden hattet …« Viktor zieht die Nase hoch, wischt mit dem Handrücken über sein Gesicht, nimmt einen weiteren Zug von seiner Zigarette. Er wirkt jetzt lockerer, wie die meisten Täter, wenn sie sich dazu durchgerungen haben, ihr Gewissen zu erleichtern. Er geht sogar zwei Schritteauf Manni zu, verharrt dann aber wieder, immer noch außerhalb von Mannis Sprungbereich.
    »Und Tim?«
    »Tim?« Wieder spuckt der Junge aus. »Was soll mit dem sein?«
    »Komm schon, Viktor, wir haben ihn gefunden«, sagt Manni.
    »Gefunden?« Viktor guckt verständnislos, saugt an seiner Zigarette. Seine Verwunderung wirkt echt.
    »In dem Bunker auf eurem Grundstück. Dir musste doch klar sein, dass es so nicht weitergehen, dass das auffliegen würde?«
    Viktor schüttelt den Kopf. Langsam. Wie benommen.
    Und dann versteht Manni. Versteht, dass Ralle Neisser ihn ausgetrickst hat, indem er den Verdacht in Sachen Tim auf Viktor und seinen Vater lenkte. Er erinnert sich an die Fabrikhalle, die laut Spurensicherung für Ralle so eine Art Wohnzimmer gewesen sein muss. Eine Halle mit Sperrmüllmöbeln, in der sie außer den Fingerabdrücken von Ralle, Viktor, Jonny und Tim Blut sichergestellt haben. Blut von Tim, der aus irgendeinem Grund am Montagmorgen dorthin geradelt sein muss, statt zur Schule zu gehen, und dort auf Ralle traf.
    »Du hast Ralle einen Schlüssel zu eurem Bunker gegeben.« Im selben
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