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Unter dem Eis

Unter dem Eis

Titel: Unter dem Eis
Autoren: Gisa Klönne
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verschwindet wieder im Keller.
    Judith zündet sich eine Zigarette an und hofft, dass der Schwindel so verfliegt. Was hat Tims Psychologe über die Täter gesagt? Das Gefühl von Mangel. Das Fehlen von Mitleid. Väter, die unerreichbar sind und trotzdem – oder gerade deshalb – Idole. Kalte, nimmersatte Götter. Doch was, wenn der Gott vom Himmel fällt? Oder noch schlimmer, wenn ein furchtloser Junge, der an die Indianerehre glaubt, den väterlichen Gott vom Himmel zu stürzen droht?
    Tims Psychologe zögert nicht mit seiner Antwort. »Ein so bedrohter Sohn würde die Ehre des Vaters verteidigen«, sagt er. »Mit aller Gewalt.«
    »Auch wenn er sich nicht von seinem Vater geachtet fühlt?«
    »Gerade dann.«
    »Und wenn er scheitert?«
    Das Schweigen Joachim Wallerts ist ihr Antwort genug. Sie tritt ihre halbgerauchte Zigarette aus, beendet schon im Laufen das Telefongespräch, stürmt zurück zu Manni und Hagen Petermann, die noch immer in ihrem Machtkampf gefangen sind. Sie ignoriert Mannis warnendes Kopfschütteln, packt Petermanns Schulter, schreit ihn an.
    »Viktor! Wo ist Ihr Sohn?«
    Er schüttelt den Kopf, antwortet nicht. Sie hastet zurück auf den Korridor, Manni hinkt hinter ihr her.
    »Hagen Petermann war es nicht«, sagt sie, als sie außer Hörweite des Besprechungsraums sind.
    »Ich weiß.« Manni sieht blass aus, der Bluterguss an seinem Kinn leuchtet. »Aber ich will verdammt noch mal, dass er das zugibt.«
    »Später. Erst müssen wir Viktor finden, und zwar schnell. Er weiß doch inzwischen, dass er verloren hat.«
    Manni schüttelt sich, als erwache er aus einem Traum. Seine Stimme klingt gepresst. »Er muss völlig außer sich sein. Er bringt sich um. Sich oder andere.«
    »Ivonne!« Judith beginnt zu rennen.

    Die Krieger fährt wie der Teufel. Das Blaulicht des Polizeiautos, das vor ihnen herjagt, flackert über ihr Gesicht. Sie wirft Manni ihr Handy zu, packt das Lenkrad noch fester und schleudert in eine Kurve.
    »Ivonnes Handynummer ist da drin, unter ›Anrufe‹.«
    Manni findet die Nummer, wählt, erreicht nur die Mobilbox.
    »Auskunft«, zischt die Krieger. »Lass dich mit den Eltern verbinden.«
    Aber dann halten sie schon vor der Villa, seine Kollegin hetzt aus dem Wagen und klingelt Sturm, und noch bevorManni sie einholt, sieht er an der Art, wie ihr Körper sich entspannt, dass Viktors Freundin in Sicherheit ist. Schüchtern drängt sie sich an ihre Mutter. Kaum etwas ist von der Coolness geblieben, die sie noch gestern auf dem Schulhof zur Schau getragen hat.
    »Wir haben Tim gefunden. Er lebt.« Judith Krieger schluckt.
    Das Mädchen beginnt zu zittern.
    »Aber jetzt suche ich Viktor«, sagt die Krieger eindringlich. »Ich glaube, dass er sehr verzweifelt ist und Hilfe braucht. Hat er sich bei dir gemeldet? Weißt du, wo er ist?«
    Noch mehr Zittern, dann ein kaum zu verstehendes Flüstern. »Auf dem Schuldach vielleicht. Wir treffen uns da manchmal. Vik hat einen Schlüssel.«
    Wieder zeigt Judith Krieger Rennfahrerqualitäten, diesmal jedoch ohne Blaulichtbegleitung, denn die Streifenkollegen sind auf ihren Befehl hin zurückgeblieben, um Ivonne zu bewachen. Die Bertolt-Brecht-Schule sieht verlassen aus, die Krisenkonferenz ist offenbar beendet, die Eisentore sind verschlossen.
    »Ruf die Einsatzzentrale an, die sollen den Hausmeister oder Rektor auftreiben. Ich schau mich schon mal um.« Judith Krieger würgt den Motor ab und springt auf den Parkplatz, ohne Mannis Antwort abzuwarten. Er sieht ihren braungebrannten Waden, der absurd verstümmelten Hose, den verfilzten Locken nach, während er auf den Rückruf der Zentrale wartet. Sein Knie scheint von Minute zu Minute mehr anzuschwellen, in seinem Oberschenkel zieht etwas. Er denkt daran, wie Judith Krieger in dem stinkenden Keller kauerte und auf den Jungen einsprach. Diese Zartheit hätte er ihr überhaupt nicht zugetraut, ums Verrecken nicht.
    Die Zentrale verbindet ihn mit dem Hausmeister, der Mann verspricht, sich zu beeilen. Judith Krieger kommt zurück, lässt sich auf den Fahrersitz fallen.
    »Da ist tatsächlich jemand auf dem Dach. Ganz oben. Läuft da rum, guckt runter. Mehr kann ich nicht erkennen.«
    »Männlich? Hellblonde Haare?«
    Sie nickt. »Ich hab Verstärkung angefordert. Kollegen, Feuerwehr, psychologischer Dienst, das ganze Pipapo.«
    »So wird das nicht funktionieren.«
    »Ich weiß.« Sie sieht Manni an. »Ich muss da rauf.«
    Sein Bein brennt, sein Kopf dröhnt, seine Hände sind wie Feuer. Aber
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