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Unter dem Eis

Unter dem Eis

Titel: Unter dem Eis
Autoren: Gisa Klönne
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Männer und eine Ärztin, denen Mitleid und Entsetzen in den Gesichtern stehen. Mit zitternden Knien folgt Judith ihnen die Betontreppe hinauf ins graue Nachmittagslicht. Streifenbeamten sind da, Karin und Klaus von der Spurensicherung und Karl-Heinz Müller. Die Anwesenheit des Rechtsmediziners lässt Judiths Knie noch stärker zittern.
    »Keine Sorge, ich will nur den Ort sehen, an dem Jonny starb.« Karl-Heinz fasst Judith am Arm und führt sie zu einem Mauerrest, wo er erst eine seiner Davidoffs für sie anzündet und ihr dann einen silbernen Flachmann reicht. Sie trinkt einen zögerlichen Schluck, dann noch einen. Schnaps, der in ihrer Kehle beißt, aber seine Wirkung tut, wie der Whiskey an dem Morgen vor Davids Hütte. Allmählich lässt ihr Zittern nach.
    Manni und Hagen Petermann sitzen sich an einem Konferenztisch in Petermanns Baufirma gegenüber, nebenan laden Streifenbeamten Akten in Kartons. Der Bluterguss an Mannis Kinn schimmert bläulich, die Wunden an seinen Händen nässen. Zu viele Verletzungen, denkt Judith, und einen Moment lang ist ihre Sehnsucht nach David so groß, als seien die Umarmungen in seinem blauen Holzhaus und der Abend am See die einzige Wirklichkeit, die zählt.
    »Ich war es«, sagt Hagen Petermann tonlos. »Sie haben mein Geständnis, was wollen Sie denn noch?«
    »Sagen Sie mir, warum.« Manni fixiert sein Gegenüber wie ein aufs äußerste gereizter, verwundeter Stier.
    »Ich war es. Jetzt lassen Sie mich in Ruhe.«
    Keiner der Männer scheint Judith zu bemerken, zu versunken sind sie in einem Zweikampf, dessen Regeln sie nur erahnen kann. Petermanns Gesicht wirkt grau. Etwas ist darin erloschen, seit er ihnen die Tür zu Tims Verlies aufschließen musste, Tim entdeckte und zu schreien begann.
    Im Hof steht immer noch der Notarztwagen. Daneben warten Tims Eltern wie zwei verlorene Kinder.
    »Was sollen wir bloß tun?«, fragt Tims Mutter, als sie Judith entdeckt.
    »Freuen Sie sich, dass Ihr Sohn noch lebt. Lieben Sie ihn. Ziehen Sie mit ihm ans Meer. Sprechen Sie mit Tims Psychologen.«
    Das ist zu wenig, das ist zu herzlos, aber sie hat keine Kraft für mehr übrig. Sie kehrt zurück zu Tims Verlies am Ende des weitläufigen Anwesens hinter der Baufirma. Gleich dahinter beginnt der Königsforst, bis zur Schutzhütte und dem Anglerteich sind es nur wenige Kilometer. Der Keller sei ein alter Bunker, erklärt ihr ein Streifenbeamter. Ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg, meterdicker Beton, so hat er im Gegensatz zu dem einstigen Wohnhaus, von dem nur noch Mauerreste übrig geblieben sind, den Bomben des Zweiten Weltkriegs getrotzt. Eine Stahltür sichert den Zugang.
    »Wer hat einen Schlüssel?«, fragt Judith, doch das kann der Streifenbeamte ihr nicht sagen.
    Noch einmal geht sie die Stufen hinab in die stinkende Hölle, die die Arbeitslampen der KTU jetzt mit künstlichem Licht fluten. Unbarmherzige Helligkeit, die die nackten Betonwände und die besudelte Matratze ausleuchtet, die Kriechspuren und Handabdrücke auf den Wänden und dem Boden, die Schlieren von Blut und Kot.
    »Nicht weiter«, warnt Karin und schiebt mit der latexbehandschuhten Rechten vorsichtig eine Haarsträhne zurück unter ihre Haube.
    »Habt ihr schon was?« Die Schlieren sind wirklich überall. Judith heftet ihren Blick auf Karins weißen Overall.
    »Jede Menge Fingerabdrücke, nicht nur von den Opfern.«
    »Kannst du einen Schnellabgleich machen? Ralf Neisser, Viktor Petermann, sein Vater und natürlich Jonny. Ich muss wissen, wer hier in diesem Keller war.«
    Oben auf den Mauerresten des alten Wohnhauses hat Judith das Gefühl, den Geruch aus dem Bunker nie mehr loszuwerden. Schwindel und Müdigkeit überfallen sie erneut. Sie lässt den Kopf auf die Knie sinken, fährt sofort wieder hoch. Ihre Hosenbeine sind durchtränkt von der nassen Matratze. Sie leiht sich von einem Streifenbeamten ein Schweizer Messer mit Schere, schneidet die Hosenbeine über den Knien ab und schleudert sie weit von sich. Trotzdem hat sie noch den Gestank in der Nase und die Schlieren an den Wänden haben sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Blut, Kot und Urin - die letzte und zutiefst menschliche Antwort auf außer Kontrolle geratene Gewalt.
    Karin steht plötzlich neben ihr. Judith schrickt zusammen, greift unwillkürlich nach ihrem Tabak. »An Tür und Türrahmen haben wir Fingerabdrücke von Ralf Neisser und Viktor Petermann sowie deutlich weniger von Hagen Petermann. Drinnen dauert es noch«, sagt die KTUlerin und
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