Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter deinem Stern

Unter deinem Stern

Titel: Unter deinem Stern
Autoren: Victoria Connelly
Vom Netzwerk:
überquerten.
    »Wie meinst du das?«
    »Ich meine, so hast du dir dein Wochenende in Paris sicherlich nicht vorgestellt – dass du mitten in der Nacht durch die Straßen laufen würdest, noch dazu mit mir?«
    »Eins habe ich in den vergangenen Monaten gelernt, nämlich dass man immer mit dem Unvorhergesehenen rechnen muss.«
    Simon nickte ernst. »Claudie«, sagte er.
    »Ja?«
    »Es tut mir wirklich Leid, was dir passiert ist. Ich meine, was mit Luke passiert ist.«
    Sie hatten die Seine erreicht und standen mitten auf einer Brücke. Claudie schaute in das schwarze Wasser hinunter, dann zu den Türmen von Notre-Dame hinauf. Auch Simon betrachtete die von Scheinwerfern angestrahlte Kathedrale, die sich in ihrer düsteren Pracht in den Nachthimmel erhob.
    »Ich hoffe, ich bin dir nicht zu nahe getreten –«
    »Nein«, fiel Claudie ihm ins Wort, »das bist du nicht. Danke für dein Mitgefühl. So was ist nicht selbstverständlich.« Sie schaute wieder in das dunkle Wasser hinunter. »Das ist übrigens auch etwas, das ich in den letzten Monaten gelernt habe. Die meisten Leuten wissen nicht, was sie zu mir sagen oder wie sie mit mir umgehen sollen. Ich spüre genau, dass sie sich mit allen möglichen Gedanken quälen, aber sie sagen nichts.« Sie drehte sich um. »Deswegen danke ich dir.«
    »Wenn du irgendwann darüber reden willst, werde ich dir zuhören.«
    Sie blickte ihm in die Augen und wusste, dass er es ernst meinte. Er würde ihr wirklich zuhören, und das zu wissen empfand sie als sehr tröstlich, denn es gab nicht viele gute Zuhörer auf der Welt.
     
    Sie verließen die Brücke und gingen wieder am Ufer der Seine entlang. Sie achteten nicht darauf, wohin sie sich wandten, sondern spazierten einfach ziellos durch die Stadt. Über und unter Brücken, durch Parks, über Plätze, vorbei an Statuen und schlafenden Clochards. Die ganze Stadt lag da wie im Schlaf erstarrt. Immer wieder kehrten sie an die Seine zu rück.
    »Ich glaube, der Fluss folgt uns«, sagte Simon irgendwann, und Claudie lachte. Sie liefen weiter und weiter und redeten ohne Unterlass.
    Sie redeten über Whitby:
    »Findest du es nicht merkwürdig, dass wir uns nicht früher über den Weg gelaufen sind?«
    »Merkwürdig vielleicht nicht, aber schade.«
    Sie sprachen über Essgewohnheiten:
    »Ich kann Reisbrei nicht ausstehen.«
    »Ich genauso wenig. Sieht aus wie schon mal gegessen.«
    Natürlich unterhielten sie sich auch über Filme:
    »Glaubst du, das hier ist die Stelle, wo Gene Kelly getanzt hat?«
    »Gene wer?«
    »Simon!«
    »War nur ein Scherz.«
    Schließlich hörten sie auf zu reden und schlenderten schweigend weiter. Wahrscheinlich sind wir müde, dachte Claudie, oder vielleicht auch erschöpft vom vielen Reden.
    »Es ist schon ziemlich spät, nicht wahr?«, sagte sie, als sie endlich wieder unter den Arkaden der Place des Vosges ankamen.
    »Ich habe gerade gedacht, dass es noch zu früh ist«, erwiderte Simon.
    »Zu früh?«
    Sie blieben vor dem Hotel stehen.
    »Zu früh, um dir zu sagen, dass ich im Begriff bin, mich in dich zu verlieben.«
    Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, entstand eine Stille, wie die beiden sie noch nie wahrgenommen hatten. Sie schien alle Geräusche der Welt zu verschlucken, und Sekunden schienen sich zu Äonen auszudehnen.
    Schließlich fand Simon seine Stimme wieder. »Wahrscheinlich wirst du dich morgen an nichts mehr erinnern«, sagte er.
    Claudie lächelte. »Es ist schon morgen.«

45
    Die Fahrt mit dem Aufzug in den ersten Stock schien nicht enden zu wollen. Simon und Claudie standen schweigend nebeneinander, der Abstand zwischen ihren Schultern war nur noch halb so groß wie auf der Fahrt nach unten wenige Stunden zuvor.
    Claudie überlegte verzweifelt, was sie sagen sollte, um ihn zu beruhigen, aber sie dachte die ganze Zeit über nur, dass Simons Kopf so rot war wie eine reife Erdbeere. Sie hatte noch nie einen Mann erröten sehen, und sie fand es auf seltsame Weise anziehend.
    »Eine Stunde bis zum Frühstück«, sagte Simon, als sie angekommen waren. »Möchtest du immer noch, dass ich dich um Viertel vor acht abhole?«
    »Vielleicht lieber um Viertel nach acht?«
    Er nickte lächelnd, und Claudie schaute zu, wie er seine Tür auf schloss und in seinem Zimmer verschwand.
    Sie seufzte tief und stellte fest, dass sie die Stirn gerunzelt hatte, was sie ärgerte. Welchen Grund hatte sie, die Stirn zu runzeln? Ein Mann hatte ihr gerade seine Liebe erklärt. War das etwa ein Grund, die Stirn zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher