Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau
Autoren: Christian Limmer
Vom Netzwerk:
Blutergüsse, mehrere Tage alt. Gisela bezweifelte, dass Schneewittchen sich gestoßen hatte, sie war vermutlich geschlagen worden.
    Gisela stockte für einen Moment der Atem.
    Je länger sie das Mädchen betrachtete, desto mehr Fragen wirbelten durch ihren Kopf. Ihr wurde schwindlig. Sie musste für einen Augenblick die Augen schließen. Atmete tief durch, die harzige Luft wirkte beruhigend. Das Plätschern des Baches unterstützte diese Wirkung. Der Wald und der Bach, beides waren Vertraute seit ihrer Kindheit.
    Die beiden Jungs hatten einen Beutel mit Geld im Bach gefunden.
    Gisela öffnete die Augen. Der Wald roch immer noch nach Harz, der Bach plätscherte immer noch, und Schneewittchen war immer noch tot. War das ihr Geld gewesen? Woher hatte sie so viel Geld?
    Bevor der Wirbelsturm an Fragen wieder einsetzen konnte, stemmte sich Gisela aus der Hocke hoch. Kurz flimmerte es vor ihren Augen, dann drehte sie sich zu Richie und Erwin um, die sie aus der Ferne aufmerksam beobachtet hatten.
    »Ihr bleibt hier«, bestimmte sie und steuerte auf die beiden zu. Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche. »Schaut, dass keine Viecher rangehen.«
    Sie rief ihr Adressbuch auf, suchte unter L nach Lederer, marschierte zurück zum Hohlweg, der zum Dorf führte. Erwin und Richie waren fassungslos.
    »Du gehst doch jetzt nicht, oder?«, stammelte Erwin und sprach damit Richies Gedanken aus, bevor dieser ihn selbst formulieren konnte. Gisela drückte die Wahltaste, schaute über die Schulter zu den beiden Polizisten.
    »Ich komm ja wieder.« Sprach’s und setzte ihren Weg fort.
    Am anderen Ende meldete sich eine rauhe Stimme, die Gisela seit über einem Jahr nicht mehr gehört hatte.
    »Hauptkommissar Lederer.«
    »Polizeihauptmeisterin Wegmeyer. Erinnern Sie sich?«
    Einen Moment lang war nichts zu hören.
    »Sicher«, erklang Lederers Stimme, noch rauher. »Wie könnt ich Sie vergessen.«
    »Ich ruf beruflich an. Meine Mitarbeiter haben da eine Leiche gefunden. Im Wald. Hier, bei uns.«
    Jetzt, da sie ihre Stimme hörte und die Tote Wirklichkeit wurde, begann ihr Herz zu rasen. Sie hatte das Bedürfnis, alles zu erzählen; dass in ihrem Kopf ein Schneesturm tobte, dass ihr Magen sich wie Watte anfühlte, dass die Haut im Nacken spannte wie eine zu enge Strumpfhose.
    »Kommen Sie?« Es klang wie ein Flehen. In vielen Dingen des Lebens war Hauptkommissar Karl Lederer sicher unsensibel, aber den Klang einer Stimme richtig einzuordnen vermochte er durchaus.
    »Ich bin in einer Stunde da.«
    »Danke.«
    Gisela drückte die rote Taste, richtete ihren Blick auf den hellen Schimmer vor sich, dorthin, wo der Hohlweg den Wald verließ und nach einigen Windungen das herrliche Niedernussdorf erreichte.
    Karl Lederer, Kriminalhauptkommissar der Mordkommission Straubing und seiner Meinung nach der schönste Polizist Niederbayerns, schaltete vom vierten in den dritten Gang zurück, drückte das Gaspedal bis zum Boden durch und jagte bei Rot über eine Kreuzung am Ortsausgang Straubings. Aus den Augenwinkeln sah er einen kleinen Fiat bremsen, einen Porsche Cayenne auffahren und zwei Hausfrauen, die ihm mit offenem Mund nachstarrten. Er lächelte. Was gab es Schöneres als ein Blaulicht in Verbindung mit einem Martinshorn. Die Welt lag ihm zu Füßen. Das kam so selten vor, dass es ihm in diesem Moment Freudentränen in die Augen trieb. Dafür war er Polizist geworden, dafür lebte er und, da war er sich ziemlich sicher, dafür würde er sterben. Das Gefühl konnte niemand verstehen, niemand, schon gar nicht diese biedere Dorfuniformierte, die ihn vor der kleinen Polizeiwache in Niedernussdorf erwartete.
    Gisela konnte nur mühsam ein Augenrollen unterdrücken, als Lederer seinen Mercedes schlitternd vor ihr zum Halten brachte. Der Typ hatte sich seit ihrem letzten Aufeinandertreffen anscheinend nicht geändert. Als sie ihn dann mit seinem abgewetzten Ledermantel, den Cowboystiefeln und dem Pornoschnauzer aussteigen sah, bestätigte sich ihre Befürchtung.
    »Schön, Sie zu sehen, Frau Kollegin.«
    »Mei, ich find das jetzt nicht so schön. Also, beruflich gesehen.«
    »War auch nicht beruflich gemeint.«
    Sein Grinsen verfing sich an Giselas stoischer Miene. Sie schaute auf seine Cowboystiefel.
    »Sind die bequem?«
    Lederer wackelte kurz mit den Schuhspitzen.
    »Die sind handgemacht. Straußenleder. Gladstone, Australien. Die hab ich jetzt gute zehn Jahre, die tragen sich wie eine zweite Haut. Absolut weich und elastisch und trotzdem zäh und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher