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Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau
Autoren: Christian Limmer
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gibt.«
    Doktor Rothaler holte eine kleine Blechdose aus seinem blütenweißen Kittel, öffnete den Deckel. Darin lagen schneeweiße Pfefferminzbonbons. Er hielt Gisela das Döschen hin, sie schüttelte den Kopf. Doktor Rothaler bot Jakob die Bonbons an. Der Alte streckte seine Hand aus, nahm eines.
    »Danke«, sagte er leise. Er schob sich das Pfefferminzbonbon in den Mund. Zufrieden lehnte er sich zurück. Er schien plötzlich völlig entspannt.
    Doktor Rothaler bediente sich selbst und fläzte sich wieder in das Lederpolster.
    »Diese Bonbons erinnern ihn an seine Kindheit, er hat immer eines bekommen, wenn er seine Hausaufgaben gemacht hatte.«
    »Hat er Ihnen das erzählt?«
    »Wer sonst?«
    Doktor Rothaler und seine Augen lächelten.
    »Das hab ich gar nicht gewusst«, meinte Gisela.
    »Das ist die gute Nachricht. Wir müssen uns mit den Kindheitserinnerungen Ihres Vaters auseinandersetzen. Aber nur mit den positiven, bitte schön.«
    »Und dann ist er glücklich?«
    Doktor Rothaler drehte sich in seinem Sessel hin und her.
    »Glücklich ist vielleicht das falsche Wort. Dann fühlt er sich wohl. Damit können wir die negativen Auswirkungen der Demenz etwas abmildern.«
    Gisela mochte dieses Wörtchen
wir
überhaupt nicht, diese Implikation, dass es nicht alleine ihre Aufgabe war, sich um ihren Vater zu kümmern.
    »Haben Sie noch Angehörige, die uns da unterstützen können?«
    »
Wir
haben da noch einen Bruder, der aber mit seiner Familie total überfordert ist. Der wird
uns
da keine Hilfe sein.«
    Die Betonung der beiden Pronomen ließ das Lächeln in den Augen des Doktors noch fröhlicher werden. Er mochte Menschen wie Gisela, die nicht auf den Mund gefallen waren.
    »Sehen Sie das Ganze als Chance, Ihren Vater besser kennenzulernen.«
    Er beugte sich vor.
    »Sie werden es nicht bereuen.«
    Gisela war nicht so überzeugt. Die letzten Jahre hatte Jakob ihre Lebenszeit sehr in Anspruch genommen, und wenn das jetzt noch weiter zunähme …
    Sie schaute zu ihrem Vater, der aus seiner Selbstversunkenheit auftauchte. Er schnalzte kurz mit der Zunge, spürte dem Geschmack des Pfefferminzbonbons nach.
    »Kann ich noch eines haben?«
    Doktor Rothaus streckte Jakob die Dose hin.
    »Wo krieg ich die denn her?«, fragte Gisela.
    »Die gibt’s nur noch im Internet. Ich schreib Ihnen die Adresse auf.«
     
    Nachdem Jakob in den nigelnagelneuen Smart eingestiegen und festgeschnallt war, schaltete Gisela ihr Handy wieder ein. Die ersten Takte von
Mamma Mia
informierten Gisela über eine Nachricht auf der Mailbox. Es war Erwin, der sie über das gefundene Geld in Kenntnis setzte. Gisela drückte die Kurzwahltaste für ihre Dienststelle.
    »Bist schon fertig?«, tönte ihr Erwins Stimme entgegen.
    »Grad vor fünf Minuten.«
    »Und? Wie schaut’s aus?«
    »Mei, nicht gut.«
    Sie blickte zu Jakob, der im Beifahrersitz saß und wieder auf seine verschränkten Hände starrte.
    Sie holte tief Luft. »Was ist denn das mit dem Geld?«
    »Keine Ahnung. Mehr, als ich dir aufs Band gesprochen hab, wissen wir jetzt auch nicht.«
    »Die haben das im Bach gefunden?«
    »Genau.«
    Gisela überlegte kurz. Sie war froh, eine Aufgabe zu haben, die ihr Gehirn in Anspruch nahm.
    »Dann geht ihr jetzt von der Fundstelle bachaufwärts. Vielleicht findet ihr ja was.«
    »Ja, und was?«
    »Irgendwas. Und wenn nicht, dann haben wir es wenigstens probiert.«
    Ätherisches Rauschen füllte eine kurze Pause.
    »Und wen meinst du mit ihr?«
    »Na, du und der Richie.«
    »Und der Schorsch?«
    »Einer muss ja auf der Wache bleiben, oder?«
    »Ja, aber immer der Schorsch.«
    »Jetzt geh, Bewegung schadet euch nicht. Ich bin in einer Dreiviertelstunde da. Servus.«
    Ohne auf ein weiteres Wort Erwins zu warten, drückte sie die Auflegen-Taste. Sie hatte keine Lust auf endlose Diskussionen darüber, wer was machte und warum. Ihre drei Untergebenen waren in dieser Hinsicht wie Kinder, die nie Pflichten übernehmen, sondern immer nur Spaß haben wollten. Gisela selbst hatte zwar keine Kinder, aber sie wusste mit ihnen umzugehen.
    Und so schlurften fünf Minuten später Erwin und Richie ohne großen Elan den kleinen Bach entlang Richtung Wald. Ihre Augen taten so, als würden sie die Umgebung nach Hinweisen auf den Ursprung des Geldes absuchen, aber in Wahrheit reichte der Blick nicht weit. Ohne klare Vorstellung, wonach man suchte, war jede Suche sinnlos. Das jedenfalls war Richies Meinung, und seine ganze Körperhaltung drückte das aus. Er wirkte wie der
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