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Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau
Autoren: Christian Limmer
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schließlich herausstellte, hatte der Finger der alten Mathilda vom Gruberhof gehört. Sie war auf ganz natürliche Weise verstorben, von den Angehörigen aber an die Säue verfüttert worden, um sie spurlos verschwinden zu lassen. Eine Leiche in der Sommerhitze ist nur begrenzt haltbar, und so war das einzige Überbleibsel der Finger gewesen, den Beppo und Olli seinerzeit zur Polizei gebracht hatten. Ein Pflichtbewusstsein, das den Beamten immer noch säuerlich aufstieß. Man musste Arbeit ja nicht mit Gewalt erzwingen, war von jeher Schorschs Motto. Darin stimmten seine Kollegen mit ihm überein.
    »Ich mein, wir haben sonst nie Stress, und immer wenn die zwei auftauchen …« Er deutete mit dem Kinn auf Beppo und Olli. Richie und Erwin seufzten und nickten synchron. Die Augen der Polizisten richteten sich wieder auf die Jungs. Erwin holte tief Luft.
    »Also, ihr habt’s das gut gemacht, so ehrliche Finder gibt’s heutzutage selten. Ab jetzt übernehmen wir. Ihr könnt gehen.«
    Die beiden Kinder bewegten sich keinen Millimeter.
    »Kriegen wir was dafür?«, erkundigte sich Olli.
    »Einen Finderlohn«, ergänzte Beppo.
    »Finderlohn gibt’s, wenn sich derjenige meldet, dem das Geld gehört«, entgegnete Richie.
    »Aber irgendwas hätten wir schon gerne«, hakte Beppo nach.
    »Das ist hier kein Wunschkonzert«, brauste Schorsch auf. »Sobald sich jemand meldet, hört ihr von uns.« Er und die Jungs starrten sich an. Keiner zuckte auch nur mit der Wimper.
    »Ich hab da was für euch«, schob sich Richie dazwischen. Aus einer Schublade holte er ein Paar Handschellen, hielt sie den Jungs hin. Die Handschellen waren verschlossen. »Aber ohne Schlüssel.«
    Beppo und Olli wechselten einen kurzen Blick, nickten. Beppo nahm die Handschellen, versuchte gleich, eine Hand durchzuzwängen. Es klappte.
    »Cool.«
    Die zweite Hand folgte. Er grinste Olli an.
    »Jetzt kannst mich abführen.«
    Erwin schaute auf die große Uhr über der Tür. Halb neun.
    »Ja, und zwar zur Schule. Im Laufschritt. Die erste Stunde schafft ihr sowieso nicht mehr.«
    »Vielleicht schreiben Sie uns eine Entschuldigung, damit die Müllerin auch glaubt, was wir erzählen.«
    »Raus! Aber sofort!« Schorsch war der Kragen geplatzt, und der Ausbruch verfehlte seine Wirkung nicht. Beppo und Olli drängten zur Tür hinaus und flitzten davon.
    Schorsch war so in Fahrt, dass er sich gleich Richie vorknöpfte.
    »Und du, wieso schenkst du denen Handschellen? Das sind Arbeitsutensilien.«
    »Ohne Schlüssel liegen die doch bloß rum.«
    »Darum geht’s nicht. Dafür sind Steuergelder ausgegeben worden, die hast du nicht aus deiner eigenen Tasche bezahlt, oder?«
    »Durchs Rumliegen werden die auch nicht besser. Und jetzt sind sie immerhin zu was nützlich.«
    »Handschellen sind kein Kinderspielzeug.«
    Jetzt war es Erwin, dem es zu bunt wurde.
    »Es reicht!« Sein böser Blick brachte sowohl Richie als auch Schorsch zum Verstummen. »Viel wichtiger ist, was wir mit dem Geld da machen!«
    Die drei glotzten auf die dreitausendfünfhundertfünfzig Euro.
    »Warten, bis sich jemand meldet, was sonst«, meinte Richie, der jegliche Störung seines friedvollen Lebens als äußerst lästig empfand. Und den Besitzer dieses Geldhaufens zu finden roch nach richtiger Arbeit.
    »Wir müssen da schon einen Aushang machen, und die Zeitung sollten wir auch informieren«, hielt Schorsch dagegen. Er hoffte, dass ein Mal gemacht würde, was er sagte. Bisher hatten sich derartige Hoffnungen in seinem Leben nur selten erfüllt, und auch diesmal wurde sein Einwand ignoriert.
    »Wir sagen der Gisela Bescheid, die wird schon wissen, was wir machen sollen«, entschied Erwin. Schorsch grummelte zwar, aber letztendlich war es Gisela, die als Dienststellenleiterin die Entscheidung treffen musste.
     
    Gisela Wegmeyer saß auf einem neumodischen Schwingstuhl in einem modernen Zimmer mit abstrakter Kunst an der Wand. Ihr Erscheinungsbild stand im krassen Widerspruch zur Einrichtung des Wartezimmers. Gisela war grundsolide. Ihre kornblauen Augen strahlten Ruhe und Gelassenheit aus, was von dem leichten Lächeln um ihre Mundwinkel unterstützt wurde. Sie trug niemals Make-up, ihre strohblonden Haare waren so unauffällig wie die Kleidung. Obwohl sie etwas fester gebaut war, hatte Gisela etwas Filigranes an sich, das nur mit ihrem speziellen Fingerspitzengefühl erklärt werden konnte. Sie war in der Lage, jedem Menschen, mit dem sie zu tun hatte, das Gefühl zu geben, er allein stehe im
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