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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar
Autoren: Paul Auster
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war rot - dunkelrot, zwischen backsteinrot und karmesin.
    Seltsamerweise hätte ich mich am liebsten einfach umgedreht und das Lokal verlassen, ohne ihn zu begrüßen. Diese Reaktion bietet viel Stoff zum Nachdenken, nehme ich an, denn sie scheint darauf hinzudeuten, dass mir da bereits klar war, dass ich besser täte, mich von Born fernzuhalten, dass ein näherer Umgang mit ihm mich in Schwierigkeiten bringen könnte. Wie konnte ich das wissen? Bisher hatte ich kaum mehr als eine Stunde in seiner Gesellschaft verbracht, doch schon in dieser kurzen Zeit hatte ich etwas Unangenehmes, leicht Abstoßendes an ihm wahrgenommen. Damit will ich seine anderen Qualitäten gar nicht bestreiten - seinen Charme, seine Intelligenz, seinen Humor-, doch unterhalb all dessen hatten sich eine Düsternis und ein Zynismus bemerkbar gemacht, die mich aus dem Gleichgewicht gebracht und mir das Gefühl vermittelt hatten, er sei kein Mensch, dem man trauen könne. Wäre mein Eindruck von ihm ein anderer gewesen, wenn seine politischen Ansichten mir nicht so zuwider gewesen wären? Unmöglich zu sagen. Mein Vater und ich waren uns in fast jeder tagespolitischen Frage uneins, aber das hielt mich nicht davon ab, ihn für einen von Grund auf guten Menschen zu halten - oder jedenfalls nicht für einen schlechten Menschen. Born aber war nicht gut. Er war geistreich, exzentrisch und unberechenbar, aber wer behauptet, der Krieg sei die reinste Äußerung der menschlichen Seele, verbannt sich aus dem Reich des Guten. Und falls er das im Scherz gesagt haben sollte, falls er damit einen antimilitaristischen Studenten dazu bringen wollte, Gegenargumente zu liefern und seine Position in Frage zu stellen, dann war es einfach nur geschmacklos.
    Mr. Walker, sagte er, indem er von seiner Zeitschrift aufblickte und mich an seinen Tisch heranwinkte. Genau der Mann, auf den ich gewartet habe.
    Ich hätte einen Vorwand erfinden und ihm sagen können, ich müsse noch zu einer Verabredung, ließ es aber sein. Das war die andere Hälfte der komplizierten Gleichung, die mein Verhältnis zu Born definierte. So misstrauisch ich gewesen sein mag, war ich doch auch fasziniert von diesem eigenartigen, undurchschaubaren Menschen, und dass ihn die zufällige Wiederbegegnung mit mir aufrichtig zu freuen schien, schürte das Feuer meiner Eitelkeit - jenes unsichtbare Gemisch aus Eigennutz und Ehrgeiz, das in jedem von uns köchelt. Meine Vorbehalte gegen ihn, meine Skepsis gegenüber seinem fragwürdigen Charakter hinderten mich nicht daran, mir zu wünschen, dass ich ihm sympathisch sei, dass er in mir etwas mehr sehen möge als einen strebsamen amerikanischen Feld-, Wald- und Wiesenstudenten und dass er nicht blind sein möge für die guten Ansätze, die ich zwar in mir zu haben glaubte, an denen ich jedoch von früh bis spät in neun von zehn Minuten Zweifel hegte.
    Als ich mich zu ihm gesetzt hatte, sah Born mich über den Tisch hinweg an, stieß eine dicke Rauchwolke aus seiner Zigarre und lächelte. Sie haben neulich Abend auf Margot einen vorteilhaften Eindruck gemacht, sagte er.
    Auch ich war von ihr beeindruckt, antwortete ich.
    Ihnen ist vielleicht aufgefallen, dass sie nicht sehr gesprächig ist.
    Ihr Englisch ist nicht sonderlich gut. In einer Sprache, mit der man Schwierigkeiten hat, kann man sich nur schwer verständlich machen.
    Sie spricht fließend Französisch, aber auch in Französisch ist sie nicht sehr gesprächig.
    Nun, Worte sind nicht alles.
    Eine seltsame Bemerkung von einem Mann, der sich als Schriftsteller sieht.
    Ich spreche von Margot -
    Ja, Margot. Ganz recht. Das bringt mich zu meinem Anliegen. Die Frau schweigt oft und lange, aber als wir von der Party am Samstagabend nach Hause gingen, redete sie wie ein Wasserfall.
    Interessant, sagte ich, nicht sicher, wohin die Unterhaltung führen sollte. Und was hat ihr die Zunge gelöst?
    Sie, mein Junge. Sie hat wirklich Gefallen an Ihnen gefunden, aber Sie sollten auch wissen, dass sie sich große Sorgen macht.
    Sorgen? Warum sollte sie sich Sorgen machen? Sie kennt mich doch gar nicht.
    Mag sein, aber sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass Ihre Zukunft gefährdet ist.
    Die Zukunft jedes Menschen ist gefährdet. Das gilt besonders für amerikanische Männer um die zwanzig, wie Sie sicher wissen. Aber solange ich nicht von der Uni fliege, kommt die Armee nicht an mich ran, beziehungsweise erst, wenn ich das Studium abgeschlossen habe. Nicht dass ich darauf wetten würde, aber ich halte es für
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