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Unsichtbar

Unsichtbar

Titel: Unsichtbar
Autoren: Paul Auster
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vorbeikommen und ihnen auf die Finger sehen; im Wesentlichen aber würde ich mich raushalten. Für so etwas habe ich keine Zeit, ich muss mich um meine eigene Arbeit kümmern. Ich sähe meine Pflicht einzig darin, das Geld bereitzustellen - in der Hoffnung, dass es Gewinn abwirft.
    Sie sind Politologe, ich bin Literaturstudent. Wenn Sie vorhaben, eine politische Zeitschrift zu machen, dann bitte ohne mich. Wir stehen auf verschiedenen Seiten, und es kann nur mit einem Fiasko enden, wenn ich für Sie arbeiten würde. Falls Sie aber an eine literarische Zeitschrift denken, dann ja, dann wäre ich sehr interessiert.
    Nur, weil ich Vorlesungen über internationale Beziehungen halte und Artikel über Politik und das Verhalten von Regierungen schreibe, bin ich noch lange kein Spießer. Kunst ist mir genauso wichtig wie Ihnen, Mr. Walker, und ich würde Sie niemals bitten, an einer Zeitschrift mitzuarbeiten, die keine literarische Zeitschrift wäre.
    Woher wollen Sie wissen, ob ich das überhaupt kann?
    Das weiß ich nicht. Aber ich ahne es.
    Das kommt mir nicht sehr logisch vor. Sie bieten mir einen Job an und haben noch kein Wort von mir gelesen.
    Nicht doch. Erst heute Morgen habe ich vier Ihrer Gedichte in der letzten Ausgabe der Columbia Review gelesen und sechs Artikel von Ihnen in der Studentenzeitung. Den über Melville fand ich besonders gut, und ihr kleines Gedicht über den Friedhof hat mich durchaus bewegt. Wieviele Himmel noch über mir / Bis auch dieser eine verschwindet? Beeindruckend.
    Das freut mich. Und noch mehr beeindruckt mich, dass Sie so rasch gehandelt haben.
    So bin ich nun mal. Das Leben ist zu kurz für Trödeleien.
    Im dritten Schuljahr hat der Lehrer uns das Gleiche gesagt - mit exakt denselben Worten.
    Ein wunderbares Land, Ihr Amerika. Sie haben eine ausgezeichnete Erziehung genossen, Mr. Walker.
    Born lachte über die Albernheit seiner Bemerkung, trank einen Schluck Bier und lehnte sich zurück, um über die Idee nachzudenken, die er geboren hatte.
    Ich möchte, sagte er schließlich, dass Sie einen Plan entwerfen, eine Vorschau. Schreiben Sie auf, was Sie in der Zeitschrift bringen würden: Umfang der einzelnen Ausgaben, Umschlagsgestaltung, Design, Rhythmus des Erscheinens, wie Sie die Zeitschrift nennen möchten und so weiter. Bringen Sie mir das ins Büro, wenn Sie fertig sind. Ich sehe es mir an, und wenn Ihre Vorstellungen mir gefallen, sind wir im Geschäft.

    So jung ich gewesen sein mag, wusste ich doch schon genug von der Welt, um zu erkennen, dass Born mich womöglich zum Narren hielt. Wie oft spaziert man in eine Bar, trifft dort einen Mann, den man zuvor nur ein einziges Mal gesehen hat, und kommt mit der Chance heraus, eine Zeitschrift zu gründen - zumal, wenn der Betreffende ein zwanzigjähriger Niemand ist, der sich noch auf keinem Feld bewiesen hat? Das war einfach zu bizarr. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Born diese Hoffnungen nur in mir geweckt, um sie zu vernichten, und ich war vollkommen davon überzeugt, er werde meinen Entwurf in den Papierkorb werfen und mir sagen, er habe kein Interesse daran. Da aber auch nicht ganz auszuschließen war, dass er es ernst meinte, dass er aufrichtig vorhatte, sein Wort zu halten, beschloss ich, es wenigstens zu versuchen. Was hatte ich zu verlieren? Schlimmstenfalls einen Tag Nachdenken und Schreiben, und wenn Born meinen Vorschlag dann ablehnte - auch gut.
    Innerlich gegen jede Enttäuschung gewappnet, machte ich mich noch am selben Abend an die Arbeit. Jedoch von einer Liste mit einem halben Dutzend möglicher Beiträger abgesehen, kam ich nicht sehr weit. Nicht, weil ich verwirrt war, und nicht, weil ich nicht jede Menge Ideen hatte, sondern aus dem simplen Grund, dass ich versäumt hatte, Born zu fragen, wie viel Geld er in das Projekt zu investieren gedachte. Alles hing von der Größe seines Engagements ab, und wie konnte ich, solange mir seine Absichten verborgen waren, etwas über die zahllosen Punkte aussagen, die er an diesem Nachmittag aufgezählt hatte: die Qualität des Papiers, Umfang und Erscheinungshäufigkeit der einzelnen Hefte, die Art der Bindung, die Aufnahme von Abbildungen, und wie viel er (falls überhaupt etwas) den Beiträgern zu zahlen bereit war? Literarische Zeitschriften gab es schließlich in allen möglichen Formaten und Ausstattungen, von hektographierten, gehefteten Untergrundpublikationen, herausgegeben von jungen Dichtern im East Village, über behäbige akademische Vierteljahresschriften und
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