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Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Titel: Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Autoren: Bente Varlemann
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«Oder glaubst du, dass so ein Tier nicht auch mal richtig entspannen muss? Du bist in dieser Welt nicht die Einzige, die gestresst ist!» «Ich bin gar nicht gestresst», flüstere ich, «und wenn doch, dann, weil ich zu viel Kaffee …» – doch da hat meine Mutter die Wohnung schon verlassen.
    Ich bleibe mit ganz viel Feng und Shui zurück, atme tief ein, mir wird schlecht vom Salbeigeruch, und ich muss mich ins Bett legen. Doch, woran es auch immer gelegen haben mag: In dieser Nacht schlafe ich so gut, wie ich in den nächsten Jahren nie wieder geschlafen haben werde.

Sexy
    Welche Frage ist immer nervig und wird trotzdem von jedem mindestens einmal im Jahr gestellt? Genau: «Und, was machst du so an Silvester?» Früher, als Kind, da war Silvester spannend, weil man lange aufbleiben durfte, aber wirklich toll war doch nur Weihnachten. Da durfte ich ebenfalls lange aufbleiben, es gab leckeres Essen und obendrauf noch Geschenke.
    Als ich vier Jahre alt war, 1989 , da feierten viele Menschen vor den gefällten Bäumen in ihren Wohnzimmern, andere feierten eine gefallene Mauer, und ich hatte weder von dem einen noch von dem anderen eine wirkliche Ahnung. Ich hatte auch keine Ahnung von der Musikplatte, die meine Mutter meinem Vater geschenkt hatte und zu der wir den ganzen Weihnachtsabend tanzten. «Sexy! Ich würde alles für dich tun!», brüllte Westernhagen darauf. Damals dachte ich, «Sexy» wäre der Name einer Frau, so wie eine Frau Sabine oder Sandra heißen kann. Ich empfand das Lied als tragisch, denn der Sänger wollte alles für Sexy oder Sabine oder Sandra machen, aber die, die machte nur irgendwas
aus
diesem Mann. «Sexy, was hast du nur aus diesem Mann gemacht? Sexy, Sexy, Sexy.»
    Einige Tage nach Weihnachten fuhr ich mit meiner Kindergartengruppe im Auto zum Schwimmen. Im Radio spielten sie «Sexy» von Westernhagen. Ich freute mich, das war doch DAS Lied! Gerade noch konnte ich mich zurückhalten, mitzusingen, sagte aber freudestrahlend: «Du, Frau Heineke, das ist unser Weihnachtslied!» Frau Heineke guckte verstört, sagte nichts und rief später meine Eltern an, um mit ihnen über das «Weihnachtslied» zu sprechen. Ich begriff die ganze Aufregung nicht, und erst später, als mir die englische Sprache etwas besser bekannt war, verstand ich, was «Sexy» bedeutet.
    Seit ich vierzehn Jahre alt bin, weiß ich endlich auch, was Silvester bedeutet. Silvester ist die Ein-Wort-Zusammenfassung der Frage: «Wie beliebt bin ich eigentlich?»
    Denn wer behauptet
nicht
gerne, sich an Silvester «einfach nicht entscheiden zu können». «Ach, ich bin ganz gestresst, ich hab mir jetzt einfach einen Zeitplan angelegt, damit wir Essen bei X, Bleigießen bei Y und Feuerwerk bei Z und, ja, auch noch die Aftershow-Party bei A schaffen. Es ist ja SO ANSTRENGEND , wenn man SO VIELE Freunde hat.» Steck dir deinen Zeitplan sonst wohin, denke ich mir dann.
    Ich habe in Bezug auf Silvester schon alles ausprobiert, und jedes Jahr ist es dieselbe Scheiße: keine Ahnung, wohin und mit wem. Sogar mit dem Gedanken, einfach um 23  Uhr schlafen zu gehen, habe ich schon gespielt. Schade, dass sich niemand den Jahreswechsel für den Sommer ausgedacht hat, dann könnte man wenigstens entspannt grillen. Aber nein, es ist Dezember, da geht nur drinnen, alles andere wäre Selbstmord.
    Und dann stellt sich auch noch die zweitnervigste Frage: «Fondue oder Raclette?» Beides halte ich an einem Abend wie Silvester für äußerst unpassend. Das Essen dauert zu lange, keiner wird richtig satt, und es ist
nicht
förderlich, keine Grundlage für das Gelage zu haben. Ich erwarte jetzt schon freudig den Tag, an dem jemand zu Silvester einlädt und ruft: «Zu essen gibt es diesmal – NICHTS ! Yeah! Versorgt euch vorher alleine!» Dann muss auch niemand vor einer Minigabel in Fett oder einem dummen Pfännchen sitzen.
    Dieses Jahr werde ich mein erstes Silvester in Hamburg feiern, und ich bin fest mit Sabrina verabredet.
    Wir fahren in die Hafenstraße, wo Freunde von ihr wohnen, die WG ist ganz oben im Haus, und neben der Wohnung befindet sich eine große Dachterrasse. Es gibt zum Glück nichts zu essen. Wir trinken ein bisschen, wir rauchen ein bisschen, und um zwölf Uhr stellen wir uns auf die Terrasse, stoßen mit Sekt an und schauen auf das Feuerwerk am Hafen.
    Dann klingelt komischerweise mein Telefon, normalerweise kommt ja niemand an Silvester um diese Uhrzeit irgendwo durch. Ich nehme ab, lalle ein «Frohohes Neuiiisss Jaaahh!»
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