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Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Titel: Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Autoren: Bente Varlemann
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in den Hörer und erkenne dann eine traurige Stimme am anderen Ende der Leitung. Es ist Lola, sie muss im Theater an der Hallerstraße arbeiten, das ist mindestens sechs Kilometer von hier entfernt, und sie fragt, ob ich nicht noch vorbeikommen, sie abholen und mit ihr was trinken gehen möchte.
    Ich bin ein guter Mensch. Ich bin ein noch besserer Mensch, wenn ich betrunken bin. Ich bin ein bester Mensch, wenn ich betrunken bin und es Silvester ist. Ich verabschiede mich also, als der Beachclub
Strandpauli
in Flammen steht und die ersten brennenden Mülltonnen auf die Straße geschoben werden. Mein Fahrrad, welches ich in weiser Voraussicht mitgenommen habe, weil die Bahnen an Silvester viel zu voll sind und deren Passagiere ebenfalls, schiebe ich neben mir her.
    Überall sind betrunkene Menschen, das ist anstrengend, und ich habe keinen Zeitplan. In der Talstraße setze ich mich auf den Sattel und kann immerhin schneller fahren als andere Leute wanken können. Den Kiez im Rücken hinter mir lassend, fahre ich zwanzig Minuten durch leere Straßen, ab und zu knallt entfernt ein Böller, mir wird warm, und ich mache den Dynamo aus, weil ich nicht noch mehr schwitzen will.
    Als ich am Theater ankomme und mit lautem Johlen («Hello, people!») den Aufenthaltsraum betrete, sitzen dort Lola, ein Souffleur, eine Technikerin, ein Maskenbildner und eine Feuerwehrfrau. Niemand antwortet. «Willste was trinken?», fragt mich nach einer kleinen Pause irgendwer, und natürlich will ich, ich bin in Feierlaune, ich bin gut gelaunt, ich habe gerade Sport gemacht! Mit Sport gleich das neue Jahr begonnen, alle guten Vorsätze schon eingelöst, ja, das habe ich, lasse ich alle Anwesenden wissen. Aber niemand empfindet das als Spaß, als etwas Lustiges, nein, alle starren auf den Boden oder ins Glas. Irgendwann erbarmt sich jemand und fängt an, über einen der Schauspieler zu lästern. Dann ist es mit der peinlichen Stille, aber auch mit der guten Laune meinerseits vorbei, und ich trinke, was ich kriegen kann.
    Irgendwann müssen die anderen nach Hause, Lola und ich klauen die letzte Flasche Sekt und setzen uns in ein Taxi. Das Fahrrad lasse ich stehen, wir fahren in die Schanze, ich gröle die Straße an. «Sexy», rufe ich, «Sexy, ich würde alles für dich tun.» Aber auf dem Asphalt ist kein Sexy, und in der Bar, die wir betreten, ist kein Sexy, und es ist mir egal. Ich nötige den DJ , das Lied zu spielen, danach werden wir aus der Bar geschmissen, weil ich zu laut gesungen habe. Kann ich nicht verstehen.
    Zum Abschluss des Abends setzen wir uns in den Fotoautomaten an der Feldstraße. Auf den Bildern ist keine Sexy. Auf den Bildern sind wir, Arm in Arm nach einer durchfeierten Nacht. Und als ich am nächsten Nachmittag mit Sabrina DVD s schaue und ihr die Fotos zeige, da weiß ich eines: Es geht an Silvester nicht um Beliebtheit, sondern um Freundschaft.

Ella
    Die Tage ziehen sich wie die Straßen der Stadt auf Carrera-Bahnen, binden Schleifen um die Häuserblöcke, Knotenpunkte halten Gebäude und Asphalt zusammen. Die Wolken hängen wie große Lampions am Himmel, leuchten ab und an aufgrund der Sonne, werden dann wieder grau und sehen den Schneeresten auf den Bürgersteigen zum Verwechseln ähnlich. Jeden Morgen schälen sich die Häuserfassaden aus dem Nachtgewand, jeden Abend ziehen sich die Straßenschluchten graue Schlafanzüge über. Jeder, jeder, jeder Tag und jede Nacht sind gleich. Ich schlafe meist tagsüber, arbeite die ganze Nacht, leere Kugelschreiber, ordne Seiten zu Stapeln, kritzele etwas darauf, zerreiße, entknittere und klebe wieder zusammen, Zettel, Minen, Einschübe; ich kürze, verändere, und manchmal schmeiße ich den ganzen Papierberg aus lauter Wut im Zimmer umher oder gleich in den Eimer neben mir. Manchmal habe ich das Gefühl, in einem Spielfilm zu leben, als verkannte Autorin, die immerzu emsig schreibt, ohne dass etwas herauskommt. Nur, dass meine Haare nicht cool wirr, sondern fettig sind, mein Zimmer im Chaos statt in lieblich abgefucktem Stil daliegt und ich mehr trinke und rauche, als es ein Filmcharakter jemals tun würde.
    Ich versuche Geschichten zu erfinden und frage mich dann, ob ich sie nur schreibe, um mich von meinen eigenen abzulenken. Ich weiß darauf keine Antwort. Ich halte nichts davon, mir etwas vorzumachen, was nicht stimmt. Weder bei einem immer etwas dreckigen WG -Zimmer noch bei Aussehen, Können oder Versagen.
    Wenn ich mich jetzt in dem immer noch nicht ganz vertrauten
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