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Unser Spiel

Unser Spiel

Titel: Unser Spiel
Autoren: Carre
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zu überlegen, ob ich einer Antwort würdig sei. Dem Älteren, als ihrem offiziellen Sprecher, kam es zu, sie mir zu geben. Seine Methode hatte ich schon durchschaut: Er karikierte sich selbst. Und zwar in Zeitlupe.
    »Ja nun, um die Wahrheit zu sagen, Ihr Freund, der Doktor, wird gewissermaßen vermißt , Mr. Cranmer, Sir«, gestand er im Stil eines zögerlichen Inspektor Plod. »Kein Hinweis auf ein Verbrechen, zum jetzigen Zeitpunkt. Aber er ist weder in seiner Wohnung noch an seinem Arbeitsplatz aufgetaucht. Und so weit wir das verifizieren konnten« – wie sehr er das Wort liebte, bekundete sein Stirnrunzeln –, »hat er auch niemandem einen Abschiedsbrief geschrieben. Es sei denn, Ihnen, natürlich. Er ist doch nicht zufällig hier, Sir? Schläft oben seinen Rausch aus?«
    »Selbstverständlich nicht. Machen Sie sich nicht lächerlich.«
    Sein narbiger Schnurrbart zog sich abrupt in die Breite und entblößte zornig schlechte Zähne. »Ach? Und was soll daran lächerlich sein, Mr. Cranmer, Sir?«
    »Ich hätte es Ihnen sofort gesagt. Er ist oben, hätte ich gesagt. Warum sollte ich Ihre oder meine Zeit verschwenden und so tun, als sei er nicht hier, wenn er hier wäre?«
    Wieder blieb die Antwort aus. Er machte das recht klug. Ich begann zu argwöhnen, daß er vielleicht auch sonst recht klug war. Ich hatte Polizisten gegenüber Vorurteile und bemühte mich jetzt, sie abzulegen, während er gleichzeitig versuchte, sie gezielt auszunutzen. Das hatte teils mit gesellschaftlichen Dingen zu tun; teils mit meinem früheren Beruf, in dem Polizisten als arme Verwandte betrachtet wurden. Und schließlich agitierte auch Larry in mir, denn, wie wir in der Firma zu sagen pflegten, Larry brauchte nur mit einem Polizisten in derselben Stadt aufzutauchen, um von diesem prompt wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen zu werden.
    »Nur, verstehen Sie, Sir, der Doktor hat offensichtlich keine Frau, keine Gefährtin, niemanden sonst von Bedeutung, keinen Menschen«, lamentierte der Schnurrbart. »Bei den Studenten ist er sehr beliebt, die halten ihn für einen Spaßvogel; aber fragen Sie einmal seine Kollegen nach ihm, da stoßen Sie, ich will mal sagen, auf eisige Ablehnung, halb aus Neid, halb aus Verachtung.«
    »Er ist ein unabhängiger Geist«, sagte ich. »Das sind Akademiker nicht gewohnt.«
    »Wie bitte, Sir?«
    »Er pflegt offen seine Meinung zu sagen. Besonders wenn’s um Akademiker geht.«
    »Aber der Doktor gehört doch auch zu diesem Verein«, sagte der Schnurrbart und zog großspurig eine Augenbraue hoch.
    »Er war der Sohn eines Pastors«, sagte ich unbedacht.
    »War, Sir?«
    »War. Sein Vater ist tot.«
    »Trotzdem ist er noch immer der Sohn seines Vaters, Sir«, bemerkte der Schnurrbart tadelnd.
    Sein falsches Pathos kam mir langsam beleidigend vor. So hättest du uns beschränkte Polypen wohl gern, gab er mir zu verstehen, also bitte, dann bin ich eben so.
    Zu meinem Salon geht es durch einen langen Gang, in dem Aquarelle aus dem neunzehnten Jahrhundert hängen. Ich ging voran und hörte hinter mir das Klappen ihrer Schuhe. Vorhin hatte ich auf meiner Stereoanlage Schostakowitsch gehört, jedoch ohne Überzeugung. Jetzt schaltete ich sie aus und schenkte in demonstrativer Gastfreundlichkeit drei Gläser 93er Honeybrook Rouge ein. Der Schnurrbart brummte »Zum Wohl«, trank und sagte, es sei eine erstaunliche Vorstellung, daß der hier in diesem Haus gewachsen sei, wie man doch sagen könnte, Sir. Sein linkischer Partner hingegen hielt sein Glas vors Kaminfeuer, um die Farbe zu prüfen. Schob die lange Nase hinein und schnüffelte. Nahm endlich einen fachmännischen Schluck und kaute darauf herum, während er den exquisiten kleinen Bechstein begutachtete, den ich in meinem Wahnsinn für Emma gekauft hatte.
    »Schmecke ich hier nicht irgendwie eine Spur von Pinot?« wollte er wissen. »Auf jeden Fall ist eine Menge Gerbsäure drin.«
    »Das ist Pinot«, antwortete ich zähneknirschend.
    »Ich wußte gar nicht, daß man Pinot in England zur Reife bringen kann.«
    »Das kann man auch nicht. Es sei denn, man hat eine ungewöhnlich gute Lage.«
    »Ist Ihre Lage ungewöhnlich gut?«
    »Nein.«
    »Warum pflanzen Sie ihn dann an?«
    »Das tue ich nicht. Mein Vorgänger hat es getan. Er war ein unverbesserlicher Optimist.«
    »Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?«
    Ich konnte kaum noch an mich halten. »Aus verschiedenen Gründen. Der Boden hier ist zu fett, außerdem schlecht bewässert und zu hoch
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