Unser Spiel
Ich drückte die Klinke. Die Tür war abgeschlossen. Von mir. Ich horchte noch einmal, ging aber nicht hinein. Fürchtete ich mich vor ihrem Geist? Vor ihrem offenen, anklagenden, allzu unschuldigen Blick, mit dem sie mir sagte: Bleib draußen, ich bin gefährlich, ich habe mir selbst angst gemacht, und jetzt mache ich dir angst? Auf dem Rückweg zu meiner Seite blieb ich vor dem hohen Fenster am Treppenabsatz stehen und blickte auf die fernen Umrisse der Gartenmauer, die vom fahlen Licht der Treibhäuser beleuchtet wurde.
* **
Ein warmer Spätsommertag auf Honeybrook. Wir sind seit sechs Monaten zusammen. Am Morgen stehen wir als erstes Schulter an Schulter im Abfüllraum, und Cranmer, der große Weinbauexperte, mißt atemlos den Zuckergehalt unserer Madeleine-Anjou-Trauben, auch so eine von Onkel Bobs fragwürdigen Anschaffungen. Die Madeleine ist so kapriziös wie jede andere Frau, hatte mir einmal ein französischer Fachmann unter viel Zwinkern und Kopfnicken versichert: heute reif und willig, morgen alt und ungenießbar. Ein sexistischer Vergleich, den ich Emma wohlweislich verschweige. Ich hoffe inständig auf siebzehn Prozent, aber schon sechzehn würden eine gute Ernte verheißen. Im sagenhaften Weinjahr 1976 kam Onkel Bob auf erstaunliche zwanzig Prozent, bevor die englischen Wespen sich über die Trauben hermachten und der englische Regen den Rest besorgte. Emma sieht zu, wie ich das Refraktometer nervös ans Licht halte. »Knapp achtzehn Prozent«, verkünde ich schließlich mit einer Stimme, die einem berühmten General am Vorabend der Schlacht besser angestanden hätte. »In zwei Wochen beginnen wir mit der Lese.«
Jetzt sitzen wir träge hinter der Gartenmauer zwischen unseren Rebstöcken und reden uns ein, wir könnten durch unsere Anwesenheit auf das letzte Stadium des Reifungsprozesses einwirken. Emma sitzt im Schaukelstuhl und trägt – auf meine Anregung hin – ein Kleid im Watteau-Stil: breiter Hut, langer Rock, die Bluse zum Sonnenbad aufgeknöpft; sie nippt an ihrem Pimm’s und liest Partituren, und ich sehe ihr dabei zu und möchte für den Rest meines Lebens nichts anderes mehr tun. Vorige Nacht haben wir miteinander geschlafen. Heute morgen nach der Zeremonie der Zuckerbestimmung haben wir noch einmal miteinander geschlafen, was ich, wie ich mir einbilde, noch am Glanz ihrer Haut und dem verträumten Ausdruck ihrer Augen erkennen kann.
»Wenn wir eine vernünftige Mannschaft zusammenbekommen, dürften wir das Ganze an einem Tag schaffen«, erkläre ich kühn.
Sie schlägt lächelnd eine Seite um.
»Onkel Bob hat den Fehler gemacht, dazu Freunde einzuladen. Das bringt nichts. Reine Zeitverschwendung. Richtige Landbewohner schaffen sechs Fässer am Tag. Oder sagen wir fünf. Auch wenn wir hier nicht mehr als drei haben, bestenfalls.«
Sie hebt lächelnd den Kopf, sagt aber nichts. Woraus ich schließe, daß sie meine landwirtschaftlichen Hirngespinste mit leisem Spott bedenkt.
»Wir könnten Ted Lanxon und die beiden Toller-Mädchen bekommen, und Mike Ambry, falls er nicht pflügen muß, und vielleicht noch Jack Taplows zwei Söhne aus dem Kirchenchor, falls sie nach dem Gottesdienst Zeit haben – natürlich als Gegenleistung für unsere Hilfe beim Erntefest –«
Ein zerstreuter Ausdruck erscheint auf ihrem jungen Gesicht, und ich fürchte, daß ich sie langweile. Sie furcht die Stirn, sie hebt eine Hand, um die Bluse zu schließen. Gleich darauf bemerke ich erleichtert, es ist bloß irgendein Geräusch, das sie gehört hat und ich nicht, denn ihr Musikergehör ist viel feiner als meins. Dann höre ich es auch: das Quietschen und Rattern eines gräßlichen Autos, das nun auf der Auffahrt anhält. Und ich weiß sofort, wessen Auto das ist. Ich brauche nicht zu warten, bis ich die vertraute Stimme erkenne, die nie laut wird, aber auch nie so leise ist, daß man sie nicht hören kann.
»Timbo. Cranmer, um Gottes willen. Wo zum Teufel steckst du, Mann? Tim?«
Und dann, denn Larry findet einen immer, fliegt die Tür in der Gartenmauer auf und steht er da, schlank wie eine Gerte in seinem nicht sehr weißen Hemd, der ausgebeulten schwarzen Hose und den erbärmlichen Wildlederstiefeln, die Pettifer-Stirnlocke kunstvoll überm rechten Auge. Und ich weiß, daß er, mit fast einem Jahr Verspätung, gerade als ich zu glauben beginne, daß ich ihn niemals wiedersehen werde, gekommen ist, um das erste der von mir versprochenen sonntäglichen Mittagessen einzufordern.
»Larry! Phantastisch!
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