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Unirdische Visionen

Unirdische Visionen

Titel: Unirdische Visionen
Autoren: Groff Conklin
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herausholen und schwang sich auf den Soziussitz. Während der Fahrt machte er dumme Faxen, wippte hin und her – wie ein angeberischer kleiner Junge, der freihändig fährt.
    »Hör mit dem Unsinn auf«, fuhr ich ihn an. »Wenn du diesmal ‘runterfällst, halte ich nicht an.«
    Ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat. Jedenfalls schlang er die Arme um mich und gab Ruhe.
    Mein Ausflugsziel waren die entfernten Hügel. Es war ein strahlender Tag, aber jeder Tag war wunderschön auf Stella IV. Es war der ideale Planet mit gleichmäßig gutem Wetter, überreich an Bodenschätzen, frei von giftigen oder gefährlichen Tieren und ohne tödliche Viren und Bakterien. Ein Planet, der für die Besiedlung wie geschaffen war.
    Ich hielt an einem Platz, den ich den »Obstgarten« nannte, weil er dicht mit fruchttragenden Bäumen bestanden war. Sobald ich Zeit dazu fand, wollte ich die Früchte auf ihre Eßbarkeit hin untersuchen.
    Die Früchte waren weg. Ich bemerkte es sofort. Ich schaute unter die Bäume, ob sie überreif abgefallen waren. Nichts. Es sah ganz so aus, als ob sie geerntet worden waren. Die Schatten konnten sie nicht gepflückt haben. Sie aßen ja nichts.
    Ich setzte mich aufs Gras und nahm den Gucker aus der Tasche. Ich beäugte ihn mißtrauisch, denn mit so einem Instrument ist nicht zu spaßen. Er erinnerte an ein Fernglas, nur mit vielen Einstellknöpfen an den Seiten und oben.
    Man hielt es vor die Augen und verstellte die Knöpfe, bis man etwas gefunden hatte, was einem gefiel. Dann spazierte man in das Bild und lebte das Leben, das sich einem in diesem Augenblick bot. Auf diese Weise konnte man viele Leben und Szenerien zusammenstellen, denn die Einstellknöpfe erlaubten Tausende von Kombinationen, deren Skala von rauschhaftestem Glücksempfinden über amüsanten Grusel bis zu abgrundtiefem Grauen reichte.
    Selbstverständlich war der Gucker verboten. Er richtete mehr Unheil an als Alkohol und Rauschgift zusammen. Er war das gemeinste, gefährlichste und lasterhafteste Ding, das die Menschheit je erfunden hatte. Hatte man sich den Gucker angewöhnt, war man ihm verfallen. Der Süchtige verlor jedes Gefühl für die Realität und endete meistens in der Nervenheilanstalt.
    Er besaß neununddreißig Knöpfe. Numeriert.
    Benny kauerte neben mir und beobachtete mich.
     
    *
     
    Ich stellte auf eins und drehte an noch zwei Knöpfen. So bediente man keinen Gucker. Man mußte verschiedene Knöpfe für die verschiedenen Szenen einstellen und die Faktoren in unterschiedlichem Verhältnis mischen.
    Aber ich traute mich nicht und setzte den Gucker mit seiner primitiven Einstellung ans Auge. Ich befand mich auf der Wiese meiner Kindheit – einer Wiese, die so sattgrün war wie keine Wiese zuvor, mit einem wolkenlosen Himmel und einem Bach und Schmetterlingen.
    Und mehr als das. Eine Wiese, die in einen endlosen Sonnentag gebettet war, die keine Vergänglichkeit kannte und deren Sonne im hellen Schein erstrahlte.
    Ich fühlte das kühle Gras unter meinen Füßen und spürte, wie die Weidenzweige mein Gesicht kitzelten. Mit aller Kraft riß ich mir den Gucker von den Augen.
    Nummer eins war nicht der Knopf, den ich wollte, und so drehte ich auf Null und stellte Knopf achtunddreißig und neununddreißig ein. Ich hob den Gucker hoch und ließ ihn wieder sinken. Dann riß ich mich zusammen.
    Ich kann es nicht beschreiben, auch jetzt nicht. Das war nicht mehr Sehen, sondern ein Hineingezogenwerden, wehrlose Hingabe an die surrealistischen Schrecken, die mich hypnotisierten. Voll Entsetzen saß ich da und mußte mich die nächste Viertelstunde erst mal erholen.
    Benny berührte meine Schulter und streckte den Arm aus.
    Seine Neugierde machte mir mein Vorhaben leicht, aber so etwas zu tun war schrecklich; und wenn es auch nur ein Schatten war.
    Ich drehte Knopf neununddreißig voll auf und reichte ihn Benny.
    Ob er überhaupt seine Wirkung tun würde? Er war ein von Menschen für Menschen entworfener Mechanismus, auf den wahrscheinlich nur ein menschliches Nervensystem ansprach.
    Aber meine Zweifel erwiesen sich als unbegründet. Der Gucker reagierte auf das Gehirn und den Körper des Benutzers. Er war ein Auslösemechanismus, der die latenten Kräfte im Gehirn des Benutzers bloßlegte.
    Bennys Körper krümmte sich, wurde dann steif. Ich konnte ihn gerade noch auffangen, als er vornüber fiel. Es tat mir leid, daß ich meinem Schatten, der vor zwei Minuten sich noch an meine Schulter gelehnt hatte, einen solchen Streich
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