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Unguad

Unguad

Titel: Unguad
Autoren: Ingrid Werner
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gehört hätte.
    Martin drehte sich zu mir um. Er zeigte auf Elviras rechte Hand, die
sie zu einer Faust zusammengepresst hatte. Sie hielt etwas fest. Einen
länglichen Behälter mit einem schnabelartig gebogenen Aufsatz. »Weißt du, ob
sie Asthma hatte?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
    »Es ist wohl am besten, wenn du die Polizei rufst. Ich halte hier
die Stellung.«
    »Gut!« Damit sauste ich wieder zurück. In meinem Rücken vernahm ich,
wie mein Mann vor der Zimmertür beruhigend auf die Rollstuhlfahrerin einredete.
Als Arzt wird er die richtigen Worte finden, dachte ich mir.
    Um nicht jetzt schon die ganze Geburtstagsgesellschaft
aufzuscheuchen, nahm ich nicht den Telefonapparat im Zimmer meiner Eltern,
sondern schaute ins Schwesternzimmer. Keiner da. Na, dann musste es ohne Fragen
gehen. Ich wählte die Nummer der hiesigen Polizei. Seit den Aufregungen im
letzten Jahr kannte ich sie auswendig.
    »Polizeiinspektion Kirchmünster. Polizeiobermeister Grieshuber.«
    Oh nein, nicht der schon wieder! Ich stöhnte innerlich auf. Sofort
erschien vor meinem geistigen Auge die etwas plumpe Figur des Polizisten.
Wahrscheinlich trug er seine spärlichen Haare nach wie vor sorgsam über die
Glatze gekämmt.
    »Grüß Gott, Herr Grieshuber. Hier ist Schneider, Karin Schneider.«
Ich überhörte den Schnaufer auf der anderen Seite der Leitung und sprach fix
weiter. »Ich bin im Altenheim, also Haus Sonnenhügel, und muss eine Leiche
melden. Kommen Sie schnell!«
    »Ah, d’ Frau Schneider, wir kennen uns, ned?«
    »Ja, wir hatten letztes Jahr einige Male das Vergnügen …« Weiter
ausholen wollte ich nicht. Denn dann hätte ich ihn daran erinnern müssen, dass
er damals auch schon schwer von Begriff war und mir nichts geglaubt hatte. Bei
der Sache mit dem Kirchplatz und dem Landrat.
    »Und Sie sogn, es gibt im Sonnenhügel a Leich? Pardon, aber is des
dort ned normal?«
    Ich stutzte. Ach so. Sehr witzig. »Nein, nicht so eine Leiche.« Ganz
langsam, jedes Wort einzeln betonend, fuhr ich fort: »Ich habe die Pflegerin
Elvira von Station zwölf tot in der Abstellkammer gefunden!« Herr im Himmel,
schick mir Geduld!
    »Des is unguad.«
    »Ja, kann man wohl sagen. Übrigens hat mein Mann eindeutig den Tod
festgestellt.«
    »Aha. Der Herr Doktor. Ja dann. Bleiben S’ dort und halten S’ earna
zur Verfügung. Mir san glei do.«
    Na also. Ich wusste ja, dass das Ärzteargument immer zieht.
    Zwölf Uhr zwanzig
    Kerstin Schmalhofer und Adam Hecker, die beiden Pflegekräfte,
die heute für die Frühschicht eingeteilt und somit voll in das Tohuwabohu des
Leichenfundes geraten waren, waren von Schwester Sieglinde ins Schwesternzimmer
gerufen worden. Sie hatte die Leitung der Station zwölf und stellte etwas
Grundsätzliches klar:
    »Ich möchte nicht, dass ihr mit den Bewohnern über Elvira sprecht.
Kein Getratsche. Das schadet nur dem Ruf unseres Hauses.«
    Kerstin war ein wenig blass geworden. Sie ließ sich auf den
nächstbesten Stuhl nieder. Adam Hecker brütete missmutig vor sich hin.
    »Ihr habt mich verstanden. Kein Wort!« Schwester Sieglinde klopfte
mit ihrem Kugelschreiber auf den vor ihr liegenden Dienstplan. »Wer von euch
geht übrigens zur Trauerfeier von Frau Bründl? Die ist heute um vierzehn Uhr.«
    »Das kann ich machen«, bot sich Kerstin an. »Das letzte Mal, beim
Herrn Berghauser, ist die Marion gewesen, und davor beim Herrn Woitaschek der
Adam. Es sterben ziemlich viele im Moment.« Sie war recht niedergedrückt.
    »So ist das nun mal in einem Altenheim. Geht wieder an eure Arbeit.«
Damit waren sie entlassen.
    Zwölf Uhr dreißig
    Es wurde für meinen Vater ein chaotischer Geburtstag. Sie können
sich sicherlich vorstellen, was im Sonnenhügel los war, nachdem die Polizei
samt Spurensicherung in die Station zwölf eingefallen war und die Ermittlungen
aufgenommen hatte. Zu allem Überfluss bekam der Reporter, der eben noch den
Jubilar fotografiert hatte, Wind davon. Hätte mich auch gewundert, wenn es
nicht so gewesen wäre. Er konnte sein Glück gar nicht fassen, als erster
Zeitungsmensch am Tatort zu sein und Fotos zu schießen. Die Polizisten
scheuchten ihn immer wieder weg und sperrten den Bereich um die Abstellkammer
großräumig ab. So ein Journalist muss allerdings hartnäckig sein, sonst kann er
gleich Artikel für die Apotheken-Rundschau verfassen.
    Er nutzte die Gunst der Stunde, um mich, meinen Mann, die Schwestern
und Pflegerinnen auf der Station, die Dame im Rollstuhl sowie
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