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Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Titel: Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Autoren: Lee Child
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Lichtgeschwindigkeit. Dynamit besitzt ungeheure Sprengkraft. In einem geschlossenen Raum wie einem U-Bahn-
Wagen würde allein die Druckwelle Mus aus uns machen. Die Nägel und Kugellagerkugeln würden eine überflüssige Dreingabe sein. Wie Kugeln gegen Eiscreme. Von uns würde nur sehr wenig übrig bleiben. Vielleicht Knochensplitter von Grapefruitkerngröße. Am ehesten würden Amboss und Steigbügel aus dem Innenohr intakt bleiben. Als kleinste Knochen des menschlichen Körpers hatten sie statistisch gesehen die größte Chance, von der Splitterwolke verfehlt zu werden.
    Ich starrte die Frau an. Erreichen konnte ich sie unmöglich. Ich war zehn Meter von ihr entfernt. Ihr Daumen lag bereits auf dem Zündschalter. Billige Messingkontakte hatten ungefähr drei Millimeter Abstand, und diese winzige Lücke wurde jetzt vielleicht rhythmisch um Bruchteile größer oder kleiner, während ihr Herz schlug und ihr Arm zitterte.
    Sie war bereit, und ich war es nicht.
    Der Zug fuhr leicht schwankend weiter. Das Heulen des Fahrtwinds im Tunnel, das Rattern der Radkränze auf den Schienenstößen, das Scharren des Stromabnehmers über die Stromschiene, das Heulen der Motoren und das sich nach hinten fortpflanzende Quietschen der Spurkränze, wenn ein Wagen nach dem anderen eine Kurve durchfuhr.
    Wohin wollte sie? Worunter fuhr der 6 Train hindurch? Ließ sich ein Gebäude durch einen Selbstmordattentäter zum Einsturz bringen? Vermutlich nicht. Wo gab es also nach zwei Uhr morgens noch größere Menschenansammlungen? Nur an wenigen Orten. Vielleicht in Nachtklubs, aber die meisten lagen schon hinter uns, und sie wäre ohnehin an keinem Türsteher vorbeigekommen.
    Ich starrte sie an.
    Zu intensiv.
    Sie spürte es.
    Sie drehte den Kopf zur Seite: langsam, ruhig, wie mit einer programmierten Bewegung.
    Sie starrte mich ihrerseits an.
    Unsere Blicke begegneten sich.
    Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich.
    Sie wusste, dass ich es wusste.

4
     
    Wir starrten uns fast zehn Sekunden lang unverwandt an. Dann stand ich auf. Blieb leicht schwankend auf den Beinen und machte einen Schritt. Aus zehn Metern Entfernung hatte ich keine Überlebenschance, das war klar. Verringerte ich diesen Abstand, konnte ich auch nicht toter sein. Ich ging an der Hispanierin links von mir vorbei. An dem Kerl mit dem NBA -Trikot rechts von mir. An der Westafrikanerin in dem Batikkleid links von mir. Ihre Augen waren noch immer geschlossen. Ich hangelte mich von einem Haltegriff zum nächsten weiter, links, rechts, links, schwankend. Die Nummer vier beobachtete mich unverwandt: ängstlich, hechelnd, murmelnd. Ihre Hände blieben in der Umhängetasche.
    Ich blieb zwei Meter von ihr entfernt stehen.
    Ich sagte: »Mir wär’s wirklich lieber, wenn ich mich in dieser Sache geirrt hätte.«
    Sie gab keine Antwort. Ihre Lippen bewegten sich. Ihre Hände bewegten sich unter dem dicken schwarzen Segeltuch. Der große Gegenstand in ihrer Umhängetasche veränderte seine Position leicht.
    Ich sagte: »Ich muss Ihre Hände sehen.«
    Sie gab keine Antwort.
    »Ich bin ein Cop«, log ich. »Ich kann Ihnen helfen.«
    Sie gab keine Antwort.
    Ich sagte: »Wir können darüber reden.«
    Sie gab keine Antwort.
    Ich nahm die Hände von den Handgriffen und ließ sie seitlich herabsinken. Das machte mich kleiner. Weniger bedrohlich. Bloß irgendein Kerl. Ich stand so still, wie der fahrende, schwankende Zug es zuließ. Ich tat nichts. Mir blieb nichts anderes übrig. Sie würde nur Bruchteile einer Sekunde brauchen. Ich würde länger brauchen. Und ich konnte absolut nichts tun. Ich hätte versuchen können, ihre Tasche zu ergreifen und sie ihr wegzureißen. Aber der um ihren Körper geschlungene Trageriemen war ein breites gewebtes Baumwollband. Die gleiche Webart wie bei Feuerwehrschläuchen. Das Band war vorgewaschen, künstlich gealtert und abgewetzt, wie neues Zeug heutzutage ist, aber es würde trotzdem noch sehr reißfest sein. Mein Versuch hätte damit geendet, dass ich sie vom Sitz hochriss und zu Boden fallen ließ.
    Bloß wäre ich gar nicht erst in ihre Nähe gekommen. Sie hätte den Knopf gedrückt, bevor meine Hand die halbe Entfernung zurückgelegt hatte.
    Ich hätte versuchen können, die Tasche hochzureißen und mit der anderen Hand über ihre Rückseite zu fahren, um das Zündkabel von den Batteriepolen zu reißen. Nur würde das Kabel reichlich lang sein, damit sie sich frei bewegen konnte, sodass ich in weitem Bogen einen halben Meter Kabel hätte
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