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Undercover

Undercover

Titel: Undercover
Autoren: Patricia Cornwell
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Lamont immer anschlägt, wenn jemand ihre hohe Meinung von sich selbst nicht teilt. »Der Verfall der Wohnviertel besitzt dasselbe zerstörerische Potenzial wie die Erderwärmung. Die Bürger haben keinen Respekt mehr vor Gesetzesvertretern, haben keinerlei Interesse mehr, uns oder sich untereinander zu helfen. Letztes Wochenende war ich in New York. Ich lief durch den Central Park, da lag ein herrenloser Rucksack auf einer Bank. Glauben Sie, auch nur ein einziger Mensch wäre auf die Idee gekommen, die Polizei zu rufen? Dass da vielleicht etwas Explosives drin sein könnte? Nein. Alle liefen dran vorbei, wahrscheinlich dachte jeder, solange mir nichts passiert, ist es nicht mein Problem, wenn das Ding in die Luft fliegt.«
    »Die Welt geht vor die Hunde, .«
    »Die Leute sind selbstgefällig geworden, und wir werden etwas dagegen unternehmen«, sagt sie. »Ich habe die Bühne vorbereitet. Jetzt müssen wir die Leute ins Theater bringen, damit sie sich das Drama ansehen.«
    Jeder Tag mit Lamont ist ein Drama.
    Sie spielt mit dem Löffel in ihrem Caffe Latte, schaut sich um, neugierig, ob sie beobachtet wird. »Wie bekommen wir Aufmerksamkeit? Wie gehen wir mit Leuten um, die abgestumpft und überreizt sind, wie sorgen wir dafür, dass ihnen Straftaten nicht mehr egal sind? Wie bringen wir sie dazu, sich in ihrem direkten Umfeld zu engagieren? Gangs, Drogen, Autodiebstahl, Raubüberfälle, Einbrüche - über all das lesen die Leute gern in der Zeitung, aber in ihrem eigenen Leben wollen sie nicht damit konfrontiert werden. Es soll anderen passieren, nicht ihnen.«
    Win bemerkt eine magere junge Frau mit rotgefärbtem Haar, die nicht weit entfernt unter einem Japanischen Ahorn steht. Sie erinnert ihn an die Kinderbuchfigur Raggedy Ann, eine Lumpenpuppe mit Haaren aus rotem Garn - die Frau trägt wie sie sogar gestreifte Socken und klobige Schuhe. Win hat sie eine Woche zuvor im Zentrum von Cambridge gesehen, sie lungerte am Gericht herum, musste wahrscheinlich vor dem Richter erscheinen. Bestimmt wegen eines Bagatelldelikts, vielleicht Ladendiebstahl.
    »Ein ungelöster Sexualmord«, reißt ihn Lamont aus seinen Gedanken. »4. April 1962, Watertown.«
    »Aha. Diesmal also kein alter Fall, sondern ein uralter«, bemerkt Win und behält Raggedy Ann im Auge. »Ich bin überrascht, dass Sie überhaupt wissen, wo Watertown liegt!«
    In Middlesex County, das in ihren Zuständigkeitsbereich fällt - so wie rund sechzig weitere kleine Gemeinden, um die sich Lamont einen feuchten Dreck schert.
    »Vier Quadratmeilen Fläche, fünfunddreißigtausend Einwohner, viele verschiedene Ethnien«, sagt sie. »Das perfekte Verbrechen, das zufälligerweise in dem für meine Initiative perfekten Mikrokosmos verübt wurde. Der Polizeichef wird Ihnen seine leitende Mitarbeiterin an die Seite stellen … Sie wissen schon, diese Frau, die den riesigen Tatortwagen fährt. Wie nennen die Kollegen sie noch mal?«
    » Stump.«
    »Genau. Weil sie klein und dick ist.«
    »Sie hat eine Prothese. Ein Bein ist unterm Knie amputiert«, sagt Win.
    »Cops können grausam sein. Ich meine, Sie kennen die Kollegin doch aus dem kleinen Lebensmittelladen um die Ecke, wo sie nebenbei arbeitet. Praktisch, mit jemandem befreundet zu sein, mit dem man viel Zeit verbringen muss.«
    »Das ist ein Delikatessengeschäft, und sie arbeitet da nicht nur nebenbei, und ich bin nicht mit ihr befreundet.«
    »Das klingt so schroff. Sind Sie vielleicht mit ihr ausgegangen, und es lief nicht? Dann könnte das natürlich ein Problem werden.«
    »Zwischen uns ist nichts Persönliches vorgefallen, und ich hab auch noch nie mit ihr an einem Fall gesessen«, sagt Win. »Aber ich meine, Sie hätten schon mal mit ihr gearbeitet, schließlich gibt es ständig Ärger in Watertown, und Stump ist genauso lange dabei wie Sie.«
    »Warum? Hat sie was über mich gesagt?«
    »Wir sprechen eigentlich nur über Käse.«
    Lamont wirft einen kurzen Blick auf die Uhr. »Zum Fall: Janie Brolin.«
    »Nie gehört.«
    »Eine blinde Engländerin. Wollte ein Jahr in den Staaten verbringen, entschied sich für Watertown, wohl wegen Perkins, der renommierten Blindenschule. Helen Keller, Sie kennen sicherlich die berühmte taubblinde Schriftstellerin, hat sie auch besucht.«
    »Zu Helen Kellers Zeiten war Perkins noch gar nicht in Watertown, sondern in Boston.«
    »Und woher wissen Sie bitte etwas so Triviales?«
    »Weil ich selbst trivial bin. Offenbar gehen Sie dieser Sache schon seit längerem nach.
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