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Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Titel: Und wenn es die Chance deines Lebens ist
Autoren: Caroline Vermalle
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sanfte Stimme, doch seit drei Tagen war sie noch sanfter.
    Frédéric stieg aus dem Bett und durchquerte in seinem Flanellpyjama mit den zu kurzen Ärmeln den kalten Flur. Dann betrat er die Küche. Seine Mutter toastete Brot und wandte ihm dabei den Rücken zu. Seit drei Tagen wandte sie ihm oft den Rücken zu. Er sah nur ihren wie immer tadellos hochgesteckten Knoten. Frédérics Großmutter, die vom Alter schon ein wenig gebeugt war und einen Morgenmantel aus Molton trug, gab ihm einen Kuss. Es kratzte ein bisschen. Sein Großvater, der wie aus dem Ei gepellt aussah, saß mit strenger Miene schweigend am Tisch vor seinem Malzkaffee.
    »Guten Morgen, Frédéric, mein Junge.« Der alte Mann starrte auf den ramponierten Kettenanhänger. Opa war ein tiefgläubiger Mann und würde ihn sicherlich dafür tadeln, doch Oma warf ihm einen einschüchternden Blick zu.
    »Oma hat dir ein Brot gemacht. Setz dich hin«, stammelte sein Großvater deshalb nur und räusperte sich. »Der Weihnachtsmann hat dich wieder verwöhnt. Wir schauen uns den Christbaum an, sobald du aufgegessen hast.«
    Seine Mutter gab ihm einen Kuss. Frédéric spürte, dass sie stärker geschminkt war als sonst und das Make-up dick aufgetragen hatte. Frédéric wollte ihr ins Gesicht sehen, aber seine innere Stimme riet ihm, es lieber nicht zu tun. Langsam aß er sein in heiße Schokolade getunktes Brot, und der Kakao rann ihm das Kinn hinunter. Die drei Erwachsenen sprachen darüber, wann die Messe begann, über die Heizung, die höher gestellt werden musste, und über Opas Rückenschmerzen. Es war kein Gespräch wie sonst, denn man hörte immerzu das Ticken der Wanduhr in den Pausen zwischen den Sätzen. Und noch immer diese Tür, die sich nicht öffnete.
    Bald wurde es Zeit für Frédéric, seine Nase auf die Glastür zu drücken, die die Küche vom Esszimmer trennte. In dem Dämmerlicht, das nur das Blinken der Girlanden durchbrach, sah er das kleine Jesuskind in der Krippe liegen. Es war viel größer als die anderen provenzalischen Krippenfiguren, die es auf dem braunen Papier umringten,fast doppelt so groß wie die Kuh. Frédéric dachte, dass es ein riesiges Jesulein war wie die Kampfroboter in Goldorak, die ganze Städte zertrampelten, während die Menschen unter ihren Füßen alle laut schrien. Dann wanderte sein Blick zu den Paketen unter dem Christbaum. Frédérics Herz tat einen Satz, aber gleich darauf fiel ihm wieder die Tür ein, die geschlossen blieb, und das Herz wurde ihm schwer.
    Das Licht wurde angeknipst, und die drei Erwachsenen setzten sich nebeneinander auf die Couch und lächelten Frédéric an. Dem Jungen fiel auf, dass der Kalender mit den schönen Bildern, die ihm so gut gefielen, nicht mehr neben dem Christbaum hing. Da jetzt aber nicht der rechte Zeitpunkt war, darüber nachzudenken, nahm er das kleinste Paket in die Hand. Er begann, das Papier aufzureißen, und während er noch immer sein Geschenk betrachtete, hörte er sich leise sagen: »Sollen wir nicht vielleicht warten, bis Papa kommt, ehe wir die Geschenke auspacken?«
    Seine Mutter öffnete den Mund, stieß einen leisen Schrei aus und lief in die Küche. Frédéric kam es so vor, als würde sie beinahe wanken. Seine Großmutter folgte ihr und schlang die Arme um ihre Schultern. Der Junge vernahm ihre Schritte auf der Treppe und ab und zu ein Schluchzen.
    Er war mit seinem Großvater allein. »Dein Vater kommt nicht«, sagte der.
    Frédéric riss langsam den Rest des Papiers von dem Paket und entdeckte ein Majorette-Auto. Es war violett mit grünen Flammen auf den Seiten. Dieses Modell hatte er noch nicht. Er hatte es in der Spielwarenabteilung im Supermarkt gesehen. Es war fantastisch. Frédéric hätte es gerne im Esszimmer über die Fensterbank und unter dem Tisch über den Boden sausen lassen und ein Wettrennen mit seinen anderen Autos veranstaltet. Dann hätte dieses hier gewonnen. Stattdessen lauschte er, was sein Großvater zu sagen hatte. Im Augenblick sprach er nicht, aber Frédéric wusste, dass sein Opa gleich etwas sagen würde, denn er fuhr sich mit seinen alten Händen nervös über die Oberschenkel.
    »Dein Vater hat etwas sehr Schlimmes getan, und ... und jetzt sitzt er weit von hier entfernt im Gefängnis. Er kommt nicht mehr zurück. Du musst sehr tapfer sein, mein Kleiner. Du wirst das schaffen, nicht wahr?«, sagte er und legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter.
    Frédéric nickte zögernd und senkte den gelockten Kopf.
    »So, so«, fuhr sein
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