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Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Titel: Und wenn es die Chance deines Lebens ist
Autoren: Caroline Vermalle
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Fenster. Genau in diesem Augenblick hielt ein Taxi vor dem hochherrschaftlichen Stadthaus. Ein Mann in einem beigefarbenen Mantel stieg aus und trat auf den weiß verschneiten Bürgersteig.
    »Mist! Verdammter Mist! Er kommt!«
    Mit dem Smoking über dem Arm hastete Pétronille los und sammelte ihre Sachen ein. Dorothée, aus schwesterlicher Solidarität ebenso aufgeregt, folgte ihr auf dem Fuß. Mit ihrem vorgewölbten Bauch stieß sie gegen die antike Konsole, die auf etwas wackeligen Beinen stand, und die Post darauf fiel zu Boden. Vier Hände ergriffen hastig Umschläge, Akten, Müllbeutel, Mützen, Mäntel, Handschuhe, Smoking, Handtaschen, Handys und Schlüssel.
    »Oje, er lädt niemals jemanden zu sich nach Hause ein. Es wird ihm gar nicht gefallen, dass ich dich mit in seine Wohnung genommen habe. Und das auch noch heute, nachdem der Sisley im Wert von einer halben Million geliefert wurde ... Verdammter Mist, und obendrein läuft in drei Wochen mein Jahresvertrag aus. Und den wird er ganz bestimmt nicht verlängern, wenn er dich hier sieht. Wie blöd muss man eigentlich sein ...«
    Dorothée, die bei der Erwähnung des eine halbe Million teuren Gemäldes zunächst erschrocken innegehalten hatte, blitzte ihre Schwester verschmitzt an.
    »Bleib du hier. Ich gehe voraus. Er hat mich doch nochnie gesehen, nicht wahr? Ich nehme einfach den Aufzug. Er weiß ja nicht, aus welcher Etage ich komme.«
    »Gute Idee«, stimmte Pétronille ihr zu. »Wir treffen uns an der Metro. Beeil dich!«
    Sie schloss die Tür hinter ihrer Schwester und atmete tief durch. Typisch Dorothée – eine clevere Frau. Als sie klein war, spielte Dorothée gerne Detektiv, und Pétronille war ihre Gehilfin. Aber sie sagte immer »Gefiehlin«.
    Pétronille schaute in den großen Spiegel mit dem vergoldeten Rahmen. Sie kämmte sich und schlüpfte in ihren Mantel. Vor jeder Begegnung mit Frédéric kämpfte sie mit Lampenfieber. Und sie errötete dauernd.

Mitten auf der Île Saint-Louis, im kleinen Garten des imposanten Stadthauses an der Ecke Quai d’Anjou und Rue Poulletier, waren die Blumenbeete schon ganz weiß. Die große Haustür knarrte leise, als Frédéric Solis sie aufstieß. Als er eintrat, kam ihm die Eingangshalle fremd vor. Selbst die prächtige Wendeltreppe und der Luftzug der zufallenden Tür schienen anders als sonst, als wäre alles aus dem Gleichgewicht geraten. Plötzlich fiel ihm ein, warum. Heute hatte er sich ausnahmsweise entschlossen, früher nach Hause zu gehen. Es sah alles so anders aus, weil es noch hell war. Während die Schneeflocken auf den Schultern seines Kaschmirmantels schmolzen, wartete Frédéric, bis der Aufzug schließlich im Erdgeschoss hielt. Eine charmante junge Blondine stieg aus dem engen, aber dennoch vornehm wirkenden alten Aufzug, und grüßte ihn mit einem selbstbewussten Lächeln. Eine sehr attraktive Frau, dachte Frédéric, als er ebenfalls lächelnd ihren Gruß erwiderte. Ihre Gesichtszüge kamen ihm irgendwie bekannt vor, aber ... Ah, sie war schwanger. Ohne Hast kehrte er um und hielt ihr die schwere Eingangstür auf. Dorothée dankte ihm für seine Aufmerksamkeit. Frédéric blickte der schwangeren Frau einen Augenblick hinterher,bis sie im Schnee verschwand, und spürte einen Stich im Herzen. Dann vergaß er die Fremde wieder und kehrte federnden Schrittes zum Aufzug zurück. Ein hochgewachsener Mann mit einer sportlichen Figur und stets tadellos elegantem Auftreten. In dem Aufzug, der ihn zu seiner Wohnung fuhr, wirkte er jedoch immer, als wäre er in einen zu kleinen Käfig gesperrt worden.
    Auf dem Treppenabsatz traf er Pétronille. Sie errötete, als sie ihm stotternd erklärte, dass die Lieferung von Sotheby’s früher als erwartet eingetroffen sei und sie in der Wohnung auf den Sisley gewartet habe.
    Frédéric bedankte sich höflich, und seine ernste, klare Stimme hallte durch das marmorne Treppenhaus. »Haben Sie es schon gesehen?«
    Seine Assistentin schien nicht zu verstehen, was er meinte.
    »Das Gemälde«, sagte er und musterte Pétronille mit seinen schönen Augen.
    »Ach so, ja, ja, ich habe es gesehen«, stammelte Pétronille. »Es ist sehr schön. Nun, ich meine, es ist eine gute Investition. Herzlichen Glückwunsch.«
    Frédéric lächelte. Eine Investition . Eine weitere, eine von vielen. Das glaubten die Leute jedenfalls. Umso besser.
    »Schönen Nachmittag, Pétronille«, sagte er freundlich.
    Frédéric wartete, bis seine Assistentin im Treppenhaus verschwunden war,
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