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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin
Autoren: Sven Kemmler
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das bedeutete. Ich würde dafür viel Zeit, noch mehr Hoffnung und nicht zu viel »Wollen« brauchen.
    Deshalb gönnte ich mir knapp ein Jahr Auszeit und kam erst mal zu Hause zur Ruhe (ich war ein halbes Jahr zuvor aus finanziellen Gründen wieder aus der Doppelhaushälfte aus- und in eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung eingezogen, weil ich dachte, das bringt Glück). Bevor ich aber in erneute Wanjismen verfallen konnte, flog ich schon bald für zwei Monate nach Thailand, auf die Insel Koh Tao, um dort den Grundstein für das neue Bühnenprogramm meines frisch entdeckten Künstlers zu legen.
    Frohen Mutes flog ich, erstmals völlig allein unterwegs, los in Richtung Asien. Noch bevor ich Koh Tao erreichte, genauer gesagt direkt am ersten Abend in Bangkok, ereilte mich wieder ein Zeichen.
    Man hört ja viel über Dinge, die passieren oder passieren sollen, aber sie passieren immer anderen und noch öfter den Freunden von anderen, und dann auch nur soviel man weiß. Manchmal aber passieren einem diese Dinge selbst. Dies war so ein Fall.
    Zunächst: Ich gebe zu, zwei Biere getrunken zu haben, die aufgrund von vorheriger Abstinenz während der fünfzehn Stunden Flug, diesmal ohne No-Shows, durchaus ihre Wirkung zeitigten. Ich trank diese Biere mit einem jungen Herrn aus Amsterdam und seiner Freundin aus Rotterdam, zwei reizenden angetrunkenen Holländern (was ist eigentlich das Gegenteil von Tautologie?), in der berühmten und auch berüchtigten Khao San Road, Heimat der Rucksackreisenden in Bangkok. Der Holländer hatte Geburtstag gehabt, auf den wir tranken, und pünktlich um Viertel nach zwölf verschwanden sie, sichtlich erschöpft.
    Ich hingegen machte mich entspannt und frohgemut in Richtung Hotel auf. Da sprach mich eine Thailänderin an. Und bevor hier voreilig die Fantasie angeregt wird, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass dies ja ein nicht unüblicher Vorgang ist. Außerdem war die Dame offensichtlich nicht darauf aus, ihren Körper anzubieten, denn der war von oben bis unten mit einem dezenten, mausgrauen und konservativ geschnittenen Stoff garniert. Auch sie selbst war nicht hormonstauend angelegt, ihr Gesicht ähnelte einem Pfannkuchen. Wäre sie Mitteleuropäerin gewesen, wäre sie hinter keiner Aldi-Kasse aufgefallen. Sie übte sich mit mir in der ortsüblichen Konversation.
    »What’s your name?«
    »Where you come from?«
    »How long you stay?«
    Dann betrat eine Freundin von ihr das nächtliche und feinstaublich deutlich angegriffene Straßenparkett. Diese Freundin war speckig, an der Grenze zu dick, und in orangerosa Gewänder ähnlich konservativen Schnittes gehüllt. Eine Farbkombination, die auch mit asiatischer Farbenpracht nicht hinlänglich erklärt werden konnte.
    Die beiden harmlos und bieder erscheinenden Damen beschlossen nun, noch essen zu gehen. Nach einem harten Tag hinter der Kasse eines der vielen in der Khao San Road ansässigen Kleinunternehmen, wie ich annahm. Sie luden mich ein, sie zu begleiten, was ich, noch hungrig nach langer Reise, dankend akzeptierte, voller Vorfreude darauf, einen Einblick in lokale Spätessensgewohnheiten zu gewinnen.
    Wir gingen zu einem nicht weit entfernten Straßenrestaurant, die beiden Parzen bestellten Essen. Das Essen scharf zu nennen, wäre so, als würde man einen Tsunami mit »Seegang« beschreiben. Dazu wurde Wasser gereicht.
    Was nun folgte, ist mir nicht erklärbar, und wäre auch nicht erklärbarer, wenn das gereichte Wasser zu hundert Prozent aus Alkohol bestanden hätte. Denn ab diesem Zeitpunkt habe ich nur noch zwei gesicherte und zwei spekulative Erinnerungen. Erinnerungen im Sinne einer Fotografie, ähnlich einem Diavortrag.
    Zunächst die gesicherten:
    1. Ich sitze in einem Auto, und eine der beiden Damen sagt, man müsse in die Disco. Ich antworte, ich wolle ins Hotel.
    2. Ich wache um 14.00 Uhr am nächsten Tag in meinem Hotelzimmer auf, vollständig bekleidet, es fehlen das Handy und die Uhr, der Geldbeutel ist da, allerdings ohne Kreditkarten, ohne EC-Karte, ohne Geld, außer vierhundert Baht in bar (etwa vier Euro) sowie zehn Dirham (etwa ein Euro) von der Zwischenlandung in Abu Dhabi.
    Die beiden völlig ungesicherten »Erinnerungen« sind:
    1. Ich stehe vor einem Geldautomaten und habe keine Ahnung warum, oder zu welchem Zweck diese Stätte dient.
    2. Ich irre durch eine Gasse, umgeben von thailändischen Plattenbauten.
     
 
    Nach meinem Erwachen fühlte ich außerdem einen seltsamen Schwindel, der nichts mit einem Kater zu
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