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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin
Autoren: Sven Kemmler
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oben wird wohl irgendwas von uns wollen, auch wenn wir nicht genau wissen, was es ist.«
    Einige lachten während meines Stand-Ups auch, aber ich wollte nicht im Detail wissen, worüber. Trotzdem gab ich alles, vor allem noch mehr »Wollen«. Nachdem ich das Ganze ein paar Wochen später in Hamburg noch einmal gemacht hatte und dort auch nicht das Gefühl hatte, jenseits des Wollens irgendwo zu landen, gab ich die Bühnenpläne wieder auf.
    Das heißt: fast; ich beschränkte mich einfach vorerst wieder darauf, bei allen sich bietenden privaten Anlässen aktiv zu werden. Darüber hinaus konnte ich ja wegen meines Autorenberufes Meistern ihres Fachs regelmäßig dabei zusehen, wie sie Texte von mir präsentierten. Und wenn sie das taten, geschah es, dass die Texte tatsächlich komisch wurden und manchmal sogar so klangen, als steckte eine Absicht dahinter.
    Doch nur dreieinhalb Jahre später, ein halbes Jahr vor der Trennung von Iris, war es wieder so weit. Der Durchfall kam wieder. Diesmal musste ich ganz sichergehen, dass ich es auch wirklich wollte, denn es gibt viele Bühnenbetretende, die die Welt nicht braucht. Also entschied ich mich für Schuhe.
    Als Testlauf suchte ich mir einen Ort sehr fern der Heimat aus, um ein voreingenommenes Publikum zu vermeiden. New York. »If you can make it there, you’ll make it anywhere«, sang schon Frank Sinatra. Also wollte auch ich es dort machen, um es überall machen zu können. Ich nehme solche Liedtexte sehr ernst. Als ich nach Hawaii geflogen war, hatte ich meinen besten Freund in San Francisco getroffen, wo er studierte, bevor wir gemeinsam weiterreisten. Da Udo Jürgens musikalisch genau festgehalten hatte:
    »Ich war noch niemals in New York,
    ich war noch niemals auf Hawaii,
    ging nie durch San Francisco in zerriss’nen Jeans«
    … nahm ich selbstverständlich »zerriss’ne Jeans« mit und trug sie stolz, als ich durch die Stadt schlenderte. Nachdem wir anschließend ja Hawaii besucht hatten, fehlte schließlich nur noch New York, um wieder einen Kreis zu schließen.
    Ich war also zum ersten Mal in der Stadt, vor allem um Aristoteles zu besuchen, der dort sein neues Programm schrieb. Dort selbst aufzutreten, stand nicht im Vordergrund der Reise. Doch schon auf dem Weg dorthin ereilte mich ein Zeichen. Oder es widerfuhr mir, je nach Betrachtungsweise.
    Ich hatte keinen Direktflug gebucht und in Paris umsteigen müssen, von wo wir mit zwei Stunden Verspätung abflogen, weil zwei Passagiere aus Dakar nicht am Flugzeug erschienen waren, alle anderen Passagiere aber schon »geboarded« hatten. Das bedeutet, wie die Vielflieger wissen: Während alle schon im Flieger sitzen, muss das gesamte Gepäck wieder ausgeladen werden, um die Koffer der beiden nicht erschienenen Fluggäste (im Airline-Deutsch übrigens »No-Shows«) auszusortieren, bevor das restliche Gepäck dann wieder eingeladen wird.
    In New York angekommen, wollte ich möglichst schnell zu Aristoteles. Ich war schon voller Vorfreude auf die Wohnung, die er angemietet und telefonisch ausgiebig beschrieben hatte. Da aber die Warteschlange am Taxistand des Flughafens bis kurz vor Dakar reichte, entschloss ich mich übermütig und gegen jeden guten Rat, mit zwei anderen Fluggästen ein von einem freundlichen Schwarzen angepriesenes Schwarztaxi zu nehmen. Das brachte uns auch trotz aller Warnungen der Reihe nach zu unseren Zielen. Ich war der letzte Fahrgast. Als wir so zu zweit im Auto saßen, telefonierte der Fahrer zwischendurch in einem unverständlichen Dialekt, dann schimpfte er auf Französisch vor sich hin. Auf meine Frage, was denn passiert sei, beschwerte er sich bitterlich über seine beiden Tanten. Die hatten, aus Dakar kommend, den Anschlussflug in Paris verpasst, und er musste ihnen jetzt ein neues Ticket organisieren. Um sicherzugehen, habe ich sogar die Flugnummern verglichen - es waren meine beiden No-Shows.
    Das wird für mich immer mein Paradebeispiel für »Zufall« sein, obwohl ich eigentlich nicht an Zufälle glaube. Trotzdem ist es für mich so, weil es - egal wie lang man sich bemüht - einfach nicht möglich ist, diesem Ereignis irgendeine sinnvolle Bedeutung abzugewinnen. Wenn jemand das Telefon genau in dem Moment abhebt, in dem man ihn anruft, dann kann man vermuten, dass aneinander zu denken zu dieser Synchronizität geführt hat. Das ist dann eine Bedeutung. Aber warum ich im Flieger in Paris warten muss, um später in New York dem Verwandten der aus Dakar stammenden
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