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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin
Autoren: Sven Kemmler
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tun hatte - und ich weiß, wovon ich rede. So weit, so bedenklich. Tröstlich war allein, es war nicht zu sexuellen Handlungen gekommen. Dies weiß ich gesichert, der Grund dafür ist allerdings privater Natur. Aber weshalb auch, Pfannkuchen und Speckbacke hatten ja nicht gerade wie Freundinnen der Sinnlichkeit oder Anhängerinnen von ausschweifenden Riten gewirkt. Eher wie Packpapiertüten.
    Was war geschehen? Hatte ich Drogen bekommen? Wenn ja, wüsste ich gerne, welche, um sie zukünftig dosierter zu verwenden. Warum hatten sie mir den Geldbeutel gelassen? Aus Höflichkeit? Mit genug Geld darin für ein Wasser, ein Omelett und eine Telefonkarte, mit der ich in der Heimat anrief, von wo aus Tyche liebevollst, verlässlichst und diskret innerhalb von zwei Stunden einen Bargeldtransfer organisierte. Das Omelett und das Wasser halfen gegen Hunger und Durst.
    Was sollte der Erinnerungsschnipsel mit der Disco? Wieso sollte man einen Touristen, der komplett »out of order« ist, noch in eine Disco schleifen, bevor man ihn seiner Habseligkeiten beraubt? Zur zusätzlichen Demütigung? Kann Chili im Essen so eine Wirkung entfalten? Und wie zum Teufel war ich in mein Bett gelangt?
    Wie man sicher verstehen kann, sind das Fragen, die einen über den Nachmittag bringen können. Ich habe am frühen Abend kurz vermutet, die Kreditkarten und das Handy eventuell einfach verloren zu haben, aber den Verschluss der Uhr hatte ich noch nicht mal im Vollbesitz meiner Sinne leicht aufbekommen. Es ist also mehr als wahrscheinlich, dass seit einiger Zeit in Bangkok ein grauer Pfannkuchen mit einem Motorola-Handy und eine bunte Speckbacke mit einer Taucheruhr herumlaufen.
    Während ich mich dergestalt ärgerte und haderte, dabei schwindelig mein Wasser trank, fiel mir allerdings auf: Das Nichtvorhandensein von Handy und Uhr machte mich extrem nervös, ich hatte ständig das Gefühl, etwas ganz furchtbar Dringendes zu verpassen, aber nicht mehr genau zu wissen, was das furchtbar Dringende war, nur dass es wirklich ganz furchtbar dringend war und genau jetzt passierte.
    In dem Song »Time after Time« gibt es die Zeile »the second hand unwinds«, also »der Sekundenzeiger entspannt sich«. Entspannt sich im Sinne einer Aufzugsfeder oder eines Gewindes, das entlastet wird. Und so fühlte sich das auch bei mir an, wie ein Kreisel, der tanzt, solange er aufgezogen ist, und dann plötzlich am Boden liegen bleibt. In diesem Fall lag er in Bangkok, und ihm war noch schwindelig vom Drehen.
    Mit anderen Worten, seit ich meines Handys und meiner Uhr verlustig gegangen war, war ich in Thailand angekommen. Das wäre an sich eine sehr schöne Sache gewesen und bei genauer Betrachtung weitaus mehr wert als eine Uhr und ein Handy. Oder Geld. Gar nicht so wenig Geld übrigens. Wenn man es genau nimmt, sogar recht viel Geld, nämlich ungefähr sechstausend thailändische Baht. Das sind circa hundertzwanzig Euro, was zwanzig Massagen entspricht. Wobei ich vier Wochen später feststellte, die Damen hatten mit mir Geld am Automaten gezogen, und der tatsächliche Flurschaden belief sich auf zweitausend Euro. Das war mein Budget für die Reise gewesen und entspricht ungefähr fünfhundert Massagen. Fünfhundert Massagen!
    Wo war ich stehengeblieben?
    Genau, viel mehr wert!
    Somit ein zähneknirschendes nachträgliches Dankeschön an die beiden Abzockerinnen mit den K.o.-Tropfen. Das Dankeschön fühlt sich geradezu buddhistisch wertvoll an und somit auch thailändisch. Ich will diesen Bericht auch nicht als Kritik an diesem wunderbaren Land verstanden wissen. Wie der Buddhist sagt: »Ärsche gibt’s überall.« Da kann man nichts machen, außer manchmal. So sei als Warnung hinterlassen:
    Fremder, kommst du nach Bangkok, meide Pfannkuchen mit Speck!
    Über Kunst und das Künstlerwerden habe ich erst mal nicht mehr nachgedacht. Ich war zu beschäftigt damit, das Geschehene einzuordnen. Ich versuchte mich zu schämen, was mir aber nicht gelang. Stand ich nicht in einer Tradition mit großen Figuren der Geschichte, wie Odysseus, der von Circe becirct wurde, die ihm nicht nur die Kreditkarten abnahm, sondern außerdem seine gesamte Schiffsbesatzung in Schweine verwandelte? Obwohl es rein charakterlich wahrscheinlich als Fortschritt zu sehen war, Seemänner, die gerade zehn Jahre im Trojanischen Krieg zugebracht hatten, in Schweine zu verwandeln. Und der Anlass des Trojanischen Krieges war ebenfalls eine Frau gewesen, allerdings eine gut aussehende, in dem Fall
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