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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie
Autoren: Junot Díaz
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gegangen bist, bevor sie was auch immer weitertippt.
    Du kannst die Mutter deines Kindes nicht rausschmeißen, erinnert Elvis dich. Sonst ist das Kind von Anfang an verkorkst. Außerdem würde es schlechtes Karma bringen. Warte einfach, bis das Kind da ist. Dann kriegt sie sich schon wieder ein.
    Ein Monat vergeht, zwei Monate vergehen. Du traust dich nicht, es noch jemandem zu erzählen, die – was? Gute Neuigkeit? – zu verbreiten. Bei Arlenny bist du sicher, dass sie direkt in deine Wohnung marschieren und die Kleine achtkantig rauswerfen würde. Dein Rücken bringt dich fast um, und das taube Gefühl in deinen Armen wird allmählich zum Dauerzustand. Unter der Dusche, dem einzigen Platz in der Wohnung, an dem du allein sein kannst, flüsterst du:
In der Hölle, Netley. Wir sind in der Hölle.

    Im Rückblick wird es dir wie ein schrecklicher Fiebertraum erscheinen, aber in diesem Moment läuft alles so langsam und fühlt sich so real an. Du bringst sie zu ihren Terminen. Du hilfst ihr mit den Vitaminen und dem ganzen Mist. Fast alles kommt aus deiner Tasche. Weil sie nicht mehr mit ihrer Mutter spricht, bleiben ihr nur zwei Freundinnen, die fast so oft in der Wohnung sind wie du. Alle drei gehören zur Selbsthilfegruppe für Multiethnische Identitätskrisen und bringen dir wenig Wärme entgegen. Du wartest darauf, dass sie auftaut, aber sie bleibt auf Abstand. Manchmal, wenn sie schläft und du versuchst zu arbeiten, lässt du die Gedanken darüber zu, wie das Kind wohl sein wird. Ein Mädchen oder ein Junge, klug oder verschlossen. Wie du oder wie sie.
    Habt ihr euch schon Namen überlegt?, fragt Elvis’ Frau.
    Noch nicht.
    Bei einem Mädchen Taína, schlägt sie vor. Und bei einem Jungen Elvis. Sie wirft ihrem Mann einen spöttischen Blick zu und lacht.
    Ich mag meinen Namen, sagt Elvis. Ich würde einen Jungen so nennen.
    Nur über meine Leiche, meint seine Frau. Außerdem kommt mir kein Braten mehr in die Röhre.
    Als du abends versuchst einzuschlafen, siehst du durch die offene Schlafzimmertür den Lichtschein ihres Laptops, hörst ihre Finger auf den Tasten.
    Brauchst du etwas?
    Nein, danke.
    Ein paarmal stellst du dich in die Tür und beobachtest sie und hoffst, dass sie dich hereinbittet, aber sie funkelt dich an und fragt, Was zum Teufel willst du?
    Ich wollte nur nach dir sehen.
    Fünf Monate, sechs Monate, sieben Monate. Du gibst gerade deine Einführung in die Literatur, als eine ihrer Freundinnen dir in einer SMS schreibt, die Wehen hätten eingesetzt, sechs Wochen zu früh. Schreckliche Ängste tosen in dir. Du versuchst immer wieder, sie auf dem Handy zu erreichen, aber sie meldet sich nicht. Du rufst Elvis an, und als er auch nicht rangeht, fährst du allein zum Krankenhaus.
    Sind Sie der Vater?, fragt die Frau am Empfang.
    Ja, antwortest du zaghaft.
    Du wirst durch Flure geführt, bekommst schließlich einen Kittel, musst dir die Hände waschen, wirst belehrt, wo du stehen sollst, und vor dem ganzen Vorgang gewarnt, aber sobald du den Entbindungsraum betrittst, kreischt die Jurastudentin:
Er soll rausgehen. Er soll rausgehen. Er ist nicht der Vater.
    Du hättest nicht gedacht, dass etwas so weh tun kann. Ihre beiden Freundinnen stürmen auf dich zu, aber du bist schon gegangen. Außer ihren dünnen, aschgrauen Beinen und dem Rücken des Arztes hast du kaum etwas gesehen. Du bist froh, dass du nicht mehr gesehen hast. Es hätte dir das Gefühl gegeben, du hättest sie in Gefahr gebracht oder so was. Du ziehst den Kittel aus und wartest, bis dir klar wird, was du da machst, und dann fährst du endlich nach Hause.

    Von ihr hörst du nichts mehr, nur von ihrer Freundin, der gleichen, die dir von den Wehen geschrieben hat. Ich hole ihre Koffer ab, okay? Als sie ankommt, sieht sie sich misstrauisch in der Wohnung um. Du wirst jetzt nicht irre, oder?
    Nein, werde ich nicht. Nach einer Pause fragst du: Wieso sagst du das überhaupt? Ich habe noch nie einer Frau weh getan. Dann merkst du, wie das klingen muss – wie ein Kerl, der ständig Frauen weh tut. Alles wandert zurück in die drei Koffer, und dann hilfst du ihr, das Gepäck zu ihrem SUV zu schleppen.
    Du bist bestimmt erleichtert, sagt sie.
    Du antwortest nicht.
    Und das war’s. Später hörst du, dass der Kenianer sie im Krankenhaus besucht hat und nach einem Blick auf das Baby eine tränenreiche Versöhnung folgte, alles war verziehen.
    Das war dein Fehler, erklärt Elvis. Du hättest mit der Ex ein Kind bekommen sollen. Dann hätte sie
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