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Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie
Autoren: Junot Díaz
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Außerdem drei Schachteln Zigaretten, eine ganze Salami und etwas Hustensaft für eine Nachbarin mit einer verschleimten Tochter. Ta muy mal, sagt sie. Natürlich hat jeder eine Schwester oder eine Cousine, die er dir vorstellen will. Que tan mas buena que el Diablo, versprechen sie dir. Bevor ihr auch nur die erste Flasche romo geschafft habt, tauchen tatsächlich die ersten Schwestern und Cousinen auf. Sie sehen etwas derb aus, aber sie haben sich Mühe gegeben, das musst du ihnen lassen. Du lädst alle ein, sich zu euch zu setzen, und bestellst mehr Bier und schlechten pica pollo.
    Sag mir einfach, welche dir gefällt, raunt ein Nachbar dir zu, und ich mache was klar.
    Elvis jr. beobachtet dich reichlich ernsthaft. Er ist ein auffallend süßer carajito. Seine Beine sind von Moskitostichen übersät, und am Kopf klebt alter Schorf, den dir niemand erklären kann. Mit einem Mal willst du ihn mit den Armen umschlingen, mit deinem ganzen Körper.
    Später erläutert Elvis sr. dir den Plan. In ein paar Jahren hole ich ihn nach Amerika. Meiner Frau erzähle ich, er wäre ein Unfall gewesen, ein einmaliger Ausrutscher, als ich betrunken war, und ich hätte es gerade erst herausgefunden.
    Und das soll funktionieren?
    Das wird funktionieren, antwortet er unwirsch.
    Alter, das nimmt dir deine Frau nie ab.
    Was weißt du denn schon?, fragt Elvis. Dein Scheiß funktioniert doch nie.
    Da kannst du nicht widersprechen. Mittlerweile bringen dich deine Arme fast um, und damit das Blut wieder fließen kann, hebst du den Jungen hoch. Du siehst ihm in die Augen. Er sieht dir in die Augen. Er wirkt außergewöhnlich klug. Er landet mal am MIT , sagst du, während du ihm die krausen Haare tätschelst. Dabei fängt er an zu weinen, und du setzt ihn ab und siehst zu, wie er herumrennt.
    In diesem Moment wird es dir klar.
    Das zweite Stockwerk des Hauses ist nicht fertiggestellt, aus den Betonziegeln ragen Stahlstangen wie scheußliche, knorrige Fühler, und du stehst mit Elvis oben und trinkst Bier und starrst über den Stadtrand hinaus, über die endlosen Satellitenschüsseln in der Ferne hinweg auf die Berge des Cibaos, die Cordillera Central, wo dein Vater geboren wurde und woher die ganze Familie deiner Ex stammt. Es ist atemberaubend.
    Er ist nicht von dir, erklärst du Elvis.
    Was meinst du?
    Der Junge ist nicht dein Sohn.
    Jetzt spinn doch nicht. Der Kleine sieht genauso aus wie ich.
    Elvis. Du legst ihm eine Hand auf den Arm. Siehst ihm direkt in die Augen. Lass den Quatsch.
    Langes Schweigen. Aber er sieht mir so ähnlich.
    Alter, er sieht dir überhaupt nicht ähnlich.
    Am nächsten Tag packt ihr den Jungen ein und fahrt in die Stadt, nach Gazcue. Ihr müsst euch die Familie regelrecht vom Leib halten, damit niemand mitkommt. Bevor ihr fahrt, zieht dich einer der Onkel zur Seite. Ihr solltet den Leuten hier wirklich einen Kühlschrank mitbringen. Dann zieht dich der Bruder beiseite. Und einen Fernseher. Als Letzte zerrt die Mutter an dir. Und einen Glättkamm.
    Auf dem Weg in die Stadtmitte herrscht ein irrer Verkehr, fast wie im Gazastreifen, gefühlt alle fünfhundert Meter seht ihr einen Unfall, und Elvis droht ständig, wieder umzudrehen. Du ignorierst ihn. Du starrst auf den rissigen Beton, der vorbeiwischt, die Straßenhändler, die allen Krempel der Erde auf den Schultern schleppen, die staubbedeckten Palmen. Der Junge klammert sich an dich. Das hat nichts zu bedeuten, sagst du dir. Nur ein Moro-Reflex, mehr nicht.
    Zwing mich nicht dazu, Yunior, fleht Elvis.
    Du bleibst hart. Du musst das tun, E. Du weißt selbst, dass du nicht mit einer Lüge leben kannst. Es wäre nicht gut für den Jungen und auch nicht gut für dich. Glaubst du nicht, es wäre besser, es zu wissen?
    Aber ich wollte immer einen Sohn haben, sagt er. Ich wollte nichts anderes im Leben. Bei dieser Scheiße im Irak habe ich nur gedacht, Bitte Gott, lass mich so lange leben, bis ich einen Sohn habe, bitte, dann kannst du mich sofort umbringen. Und guck doch, Er hat ihn mir gegeben, oder? Er hat ihn mir gegeben.
    Die Klinik ist in einem dieser Häuser im Internationalen Stil untergebracht, die unter Trujillo gebaut wurden. Zusammen steht ihr vor dem Empfangstresen. Du hältst den Jungen an der Hand. Durchdringend starrt der Kleine euch an. Der Schlamm wartet. Die Moskitostiche warten. Das Nada wartet.
    Mach schon, forderst du Elvis auf.
    Eigentlich glaubst du, dass er es nicht tut, dass es hier endet. Dass er den Jungen nimmt und kehrtmacht und zurück
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