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Und sie wunderten sich sehr

Und sie wunderten sich sehr

Titel: Und sie wunderten sich sehr
Autoren: Christina-Maria Bammel
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gehört nicht in die Schule«, war Frau Bullas Mantra, wenn es doch mal hier und da um mehr als Deutsch und Mathe gehen sollte. »Besinnliches gehört nicht in die Schule« – »und Lieder vom Christkind kannst du zu Hause singen.«
    |153| Heute erlebe ich Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen nicht nur warmherzig und weitsichtig, sondern auch fantasievoll und unbekümmert im Umgang mit Welten, die ihnen vielleicht auf den ersten Blick etwas ferner oder einfach unbekannt scheinen, eben Lehrer und Lehrerinnen, wie ich sie mir nicht besser für meine eigenen Kinder wünschen könnte. Dort treffe ich eine Offenherzigkeit, die auch den Horizont hinter den Horizonten nicht ausschließt.
    Doch die klebrige Vokabel des »Besinnlichen« – vor allem um Weihnachten herum gern wiederentdeckt für schnelle Sätze in der Zeitung – ruft mir noch einmal Frau Bulla in meine keineswegs nur schlechten Erinnerungen von damals.

    Eine örtliche Tageszeitung will auf einer Seite Berliner porträtieren, die Heilig Abend im Dienst sein müssen – nur kurz und knapp. Und eine Pfarrerin muss doch auch Heiligabend arbeiten, nicht wahr? So fragt die Frau von der Zeitung telefonisch an und steht bereits eine Viertelstunde später vor der Tür. Das muss sie auch, denn die Idee zur Berichterstattung soll 24 Stunden vor Heiligabend im rasenden Tempo realisiert werden. Das Foto von der Pfarrerin wird später die Bildunterschrift tragen: »Wer Besinnlichkeit, Halt und Kraft sucht, geht zur Pfarrerin …«
    Kommt her zu mir, ihr Besinnlichen?
    Die Zeitung ist geschult an der Sprache einer großen Lesergruppe, die sich über Generationen hinweg daran gewöhnt hat, ohne Gott zu leben. Deren Mantra lautet: Die Welt ist ohne Gott besser zu verstehen. Als Glaubende kann man sich da schon hin und wieder wie ein einsamer Spaziergänger auf den Sandwegen der Zeit fühlen.
    Die Zeitungsreporterin hat noch eine zweite Botschaft hinter der Bildunterschrift. Die muss man sich hinzudenken: »Und wer es jetzt ganz anders treffen möchte oder so gänzlich dringend braucht, kann – sogar – in die Kirche.«
    Das lesen aber nicht nur diejenigen, die Gott noch nicht einmal die Wahrscheinlichkeit seiner Existenz, geschweige denn seines Kommens in die Welt zugestehen. Diesen Satz |154| mit seiner zweiten Botschaft lesen auch, die gewohnt und gewöhnt sind an Gottesbezüge, denen aber diese Bezüge kaum etwas bedeuten.

    Ich weiß, was die Reporterin eine Stunde vor Redaktionsschluss mit dieser fix formulierten Unterschrift andeutet, was sie ihren Lesern vielleicht ganz ernsthaft ans Herz legen möchte. Aber die Kombination dieser Worte – Besinnlichkeit, Halt und Kraft – weckt in mir alle Lust, die Dreifachbenennung, vor allem aber das Geheimnis der Weihnachtszeit aus der Ecke des irgendwie Wunderlichen und je nachdem niedlich oder ärgerlich Verdrehten zu holen.
    Weihnachten hat etwas Besseres verdient als Besinnlichkeitsphrasen zum Zwecke fadenscheiniger Erbaulichkeit und mehr oder weniger religiöser Instant-Betroffenheit. Das verbietet genau der Weihnachts-Realismus, der schon oft mithilfe des Wortes »Geheimnis« beschrieben wurde.

    Worin besteht dieses Geheimnis? – Gott lässt sich auf seine eigene Geburt ein.

    Eine Geburt ist eine Gratwanderung zwischen Leben und Tod, freilich nicht überall und nicht zu allen Zeiten. Dennoch ist dieser Gedanke selbst Menschen, angekommen im mitteleuropäischen Wohlstand, nicht fern. Gottes Berührung mit dieser Welt wird zu einer Frage auf Leben und Tod, nicht erst an der Hinrichtungsstätte der Römer irgendwo auf einer Erhebung vor den Toren der Stadt Jerusalem – Golgatha.
    Für mich beschreibt der Blick einer Frau diese Gratwanderung zwischen Leben und Tod. Dieser Blick, der erzählend festgehalten ist als Weg zwischen Bethlehems dunkler Geburtsunterkunft und der Schädelstätte vor Jerusalem. Dieser Blick lässt sich finden, auf Goldgrund gemalt in einem Bildnis Sandro Botticellis: hinreißend schön und im Angesicht vollkommen faltenlos ist die junge Mutter mit einem Kind in Arm eingefangen, wie im Licht gebadet. Es |155| handelt sich um die Madonna mit dem Kind und singenden Engeln, prachtvoll ausgehangen in der Berliner Gemäldegalerie. Lilien blühen im Hintergrund des Bildes; traditionell sind es die Blumen der Maria. Ich habe diese weißen Duftmacher in Kindertagen noch hin und wieder auf Beerdigungen gesehen. Heute sind sie an Gräbern, zumindest in der Stadt, eher selten geworden und präsentieren
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