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Und sie wunderten sich sehr

Und sie wunderten sich sehr

Titel: Und sie wunderten sich sehr
Autoren: Christina-Maria Bammel
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wollten ein Kind in Bethlehem anschauen. Was sie wohl erwarteten? Ein weiteres Findelkind? Davon gab es ja hin und wieder welche. Lukas schweigt über die Erwartungen der Landleute. Es sind die Erwartungen kleiner Leute, die irgendwas gesehen, irgendwas gehört haben. Das Kind muss dann alle Erwartungen übertroffen haben. Nur dies scheint zu erklären, warum die Hirten nach dem Besuch am Ende der Nacht eben nicht wieder auf ihren Weideplatz zurückkehrten, sich hinlegten und verlorenen Schlaf nachholten.
    Eine gesittete Rückkehr in den Alltag wäre erwartbar gewesen. So erwarten es ja die meisten Menschen heute noch von sich selbst nach den Weihnachtstagen, dass sie wieder eintauchen in die alltäglichen Pflichten, Orte, Gedanken. Doch die Hirten setzen andere Prioritäten. Sie gehen nicht heim; sie sprechen Leute an. Sie erzählen, wonach die Leute, wer auch immer sie waren, offenbar gar nicht gefragt hatten. Die Hirten erzählen von diesem Kind – einem von vielen, äußerlich betrachtet: »Und alle, die es hörten, wunderten sich über das, was ihnen von den Hirten gesagt wurde.« Was das wohl für eine Art von Verwunderung |158| gewesen sein mag? Ein großes »Ah und Oh« oder eher ein distanziert-spöttisches »Also, bitte, ich muss mich doch sehr wundern …«?
    Tage später sollten sich Maria und Joseph über das, was sie da aus dem Mund des alten Simeon im Tempel hören wundern (Lukas 2,33). Jahre später wundern sich die Zuhörer, als der erwachsene Jesus aus der Schrift vorliest: das Jahr des Herrn. Und die Umstehenden hören staunend diese »Worte der Gnade«. So beschreibt es Lukas im vierten Kapitel seines Evangeliums (Lukas 4,22). Ebenso wundern sich jene, die Jesus auflauern, um einen Vorwurf gegen ihn zu finden, am besten wirft man ihm rebellische Handlungen oder auch aufwieglerische Gedanken vor. Sie wundern sich über Jesu Antwort auf ihre Fangfrage. Man solle Gott geben, was Gottes ist, dem Kaiser aber alles, was ihm zusteht (Lukas 20,26). Mehr eine empörte Verwunderung als ein begeistertes »Ah und Oh« bei den »Testfragern«, die man auf den erwachsenen Wanderprediger Jesus angesetzt hatte. Denn die rebellischen Gedanken sind damit noch nicht nachgewiesen.
    Ein und dasselbe Wort von der Verwunderung in verschiedenen Geschichten. Und das sind noch nicht alle. Der Evangelist hörte wohl die feinen Unterschiede im Sich-Wundern der Menschen, die er beschrieb.

    Die Geschichte, die dem Weihnachtsfest seine bunten Krippen, seine zweifelbehafteten Geschenke, himmelhoch steigende Hoffnungen und Gefühl, viel Gefühl, ermöglicht hat, bleibt eine Geschichte vom Wundern. Gerade darum wird sie nie ein Bericht voller objektiver Informationen. Darauf hat es Gottes Geheimnis nun wirklich nicht abgesehen. Hinter all diesen mal stilvollen, mal hilflosen, mal sentimentalen Verkleidungen einer Geburtsgeschichte liegt das Geheimnis: Gott wurde Mensch. Und dieser steile Gedanke lädt dazu ein, in die Geschichte von der Geburt des Kindes in Bethlehem das Geheimnis jedes Menschen hineinzulesen. Auf einzigartige Weise sind und bleiben wir Geborene.
    |159| Vielleicht ist dies das vorletzte Puzzleteil der Weihnachtsrealität, dass wohl in den Schattenspielen des Stalls jeder seinen eigenen Anfang finden kann.
    Eines der in Deutschland und Europa meistakzeptierten Feste erzählt genau davon, wie sehr es Menschen anerkennen, wenn andere Menschen versuchen, menschlich zu werden. Manchmal hat dieser Versuch etwas von einem Kind. Die Bibel nennt es »Retter« – geboren als hilfloser Helfer. Aber dabei bleibt es ja nicht. Darum: alles auf Anfang.

|160| Anmerkungen
    Die Zitate stammen aus folgenden Titeln:

    Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
    Kurt Marti, Das Markus-Evangelium ausgelegt für die Gemeinde, 2. Auflage 1985, Jordan-Verlag Zürich

Informationen zum Buch
    Weihnachten als Wunder wahrnehmen? Geht das heute noch? Christina-Maria Bammel zeigt, wie es gehen kann. Ihre Alltagsgeschichten für die Weihnachtsnächte wurzeln fest in unserer Zeit und sind doch durchlässig für das Lied der Engel. Sie erzählen vom Frieden auf Erden und kommen ohne Kitsch aus: Schließlich kann man immer noch ärmer dran sein als das Jesuskind. Eine Lesereise, die von Bethlehem bis nach Weißrussland, von Berlin-Mitte bis an den Hudson River führt. Zum Staunen schön.

Informationen zur Autorin
    Dr. Christina-Maria Bammel, geboren 1973 in
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