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Und ploetzlich bist du jemand anders

Und ploetzlich bist du jemand anders

Titel: Und ploetzlich bist du jemand anders
Autoren: Christian Tielmann
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nach. Da geht er. Und Sten versteht ihn nicht.
    „Treffen wir uns trotzdem um vier im Probenraum?“, fragt Paul.
    Wozu denn?, denkt Sten.
    „Na klar!“, sagt Dave. „Wir ziehen das durch! Übermorgen haben wir einen Ersatz für Theo!“
    Aber das glaubt Sten beim besten Willen nicht.

3.
    Wer kann da an Mathe denken?
    „Sten, Schatz, hast du die Hausaufgaben erledigt?“
    Wann hören Mütter eigentlich damit auf, einem zu sagen, was man tun soll? Wenn man sechzehn ist? Wenn man achtzehn ist? Oder niemals?
    „Sicher“, lügt er.
    Keine Seite hat er geschafft. Hat das Buch angestarrt. Nichts verstanden. Was soll Mathe überhaupt?
    Alles ist so leer. Kein Sinn erkennbar.
    Sten spürt dieses Loch wieder. Genau wie bei Oma damals. So ein Gefühl ist das wieder. Einfach ein Loch. Mitten in Stens Leben.
    Schmerzhafter Freiraum.
    Kein Leben mehr übrig.
    Nur noch nackte Zeit.
    Er lässt Mathe liegen. Das kann er vergessen.
    Versucht Englisch noch nicht mal.
    Vielleicht später.
    Oder morgen abschreiben.
    Von Lea.
    Sten lässt den Gedanken zu. Wenn Theo aus der Band raus ist, dann darf Sten sich doch wieder für Lea interessieren. Oder?
    Irgendwie bleibt da ein schales Gefühl.
    Lea ist schon gut, aber eigentlich geht es nicht um Lea.
    Ohne Lea kann Sten klarkommen. Ist er ja schon eine ganze Weile.
    Aber ohne Theo?

    Im Probenraum sieht Sten immer als Erstes den Staub im Gegenlicht tanzen.
    Probenraumluft.
    Verbrauchte Luft. Der Duft von Verstärkerstrom. Völliger Wahnsinn für das Asthma. Aber Sten liebt diese Atmosphäre hier im alten Lager unter den Bahngleisen. Muss er halt gleich zwei doppelte Züge von dem Spray nehmen.
    Der beste Ort der Welt.
    Echte Freiheit.
    Echter Beat.
    Echte Freunde.
    Aber jetzt steht das Schlagzeug da in der Ecke auf dem Teppich. Teppich aus dem Wohnzimmer von Stens Oma. Hat Sten selbst mit Theo hier reingeschleppt, nachdem Oma gestorben war.
    Der Hocker dahinter ist leer.
    Dave schaltet sein Keyboard ein.
    „Okay, Tommy Rosemann hat abgesagt. Aber ich bin an einem neuen Drummer dran. Für heute kann allerdings keiner.“ Dave lässt seine Finger einmal über die Tasten fliegen. Aufwärmtraining für den Pianisten. „Die große Frage ist aber, wer singt.“
    Paul stöpselt seine Gitarre ein und tut so, als hätte er die Frage nicht gehört.
    Sten schließt den Bass am Verstärker an.
    „Okay, ich probier’s.“ Er stellt sich das Stativ mit dem Mikro hin, stellt die Höhe ein.
    Wer zählt an?
    Dave natürlich. „Und auf geht’s: eins, zwei …“
    Das erste Stück. Bass als Intro. Dann eigentlich Schlagzeug dazu. Mit dem Beat. Fett.
    Stattdessen nur Sten.
    Keine Bassdrum auf der Eins und der Drei. Keine Snare auf der Zwei und der Vier. Kein Becken. Nichts. Nur der Bass.
    Immerhin lachen Dave und Paul nicht, als Sten mit seiner pfeifenden Asthmatiker-Stimme singt. Nicht so breit wie Theo. Theos Stimme ist tief und satt. Und Stens? Dünn. Leise.
    Schließlich spielt Dave die Melodie auf dem Keyboard mit.
    Großartig klingt das nicht.
    „Wir singen zusammen“, schlägt Dave vor. „Jeder kriegt so ein verdammtes Mikro vor die Nase und dann wird das schon irgendwie gehen!“
    Sten nickt.
    „Das heißt, dass wir zwei neue Mikros brauchen.“
    „Bin pleite“, sagt Paul direkt. „Könnt ihr völlig vergessen.“
    „Ich hab noch eins zu Hause“, sagt Dave.
    „Vielleicht können wir ja in der Schule noch was ausleihen.“ Sten setzt sich auf den Bassverstärker wie auf einen Hocker.
    Dave schüttelt den Kopf. „Vergiss es. Das hat der Jakobi doch gesagt. Die Schulanlage ist bis zum Wettbewerb gesperrt und wer Probenzeiten braucht, muss sich in den Plan eintragen.“
    „Dann kauf ich eben eins“, sagt Sten. „So teuer sind die doch nicht, oder?“
    Dave wiegt den Kopf hin und her. „Na ja, das kommt sehr drauf an, was rauskommen soll.“
    „Hat Theo nicht noch eins im Keller?“, fragt Paul.
    Klar hat Theo noch eins im Keller. Der hat noch eine ganze Menge im Keller. Lichtanlage, Mixer, Mikros mit Stativen und ein elektronisches Schlagzeug zum Üben.
    Aber ob er seiner alten Band das Material ausleiht?
    Manchmal ist der Gitarrist echt naiv.
    Andererseits – warum eigentlich nicht?

4.
    „Verkauft?“
    Theos Mutter nickt.
    „Der ganze Kram ist weg. Theo macht alles zu Geld, was mit seinem früheren Leben zu tun hat.“
    Es ist Samstagvormittag. Sten steht in Theos Küche.
    Schlürft den Kaffee, den ihm Theos Mutter angeboten hat.
    Kaffee ist gut. Kaffee regt das Gehirn
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