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Und morgen in das kühle Grab

Und morgen in das kühle Grab

Titel: Und morgen in das kühle Grab
Autoren: Mary Higgins Clark
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verblüfften oder tränenüberströmten Gesichter um
mich herum sah, konnte ich immer noch kaum glauben,
was ich dort erfuhr. Offenbar war Nicholas Spencer, Nick,
ein Dieb und Betrüger. Das Wundermittel sollte nichts
anderes als ein Produkt seiner blühenden Fantasie und
seines hervorragenden Geschäftssinns gewesen sein. Er
hatte all diese Menschen betrogen, die so viel Geld in sein
Unternehmen gesteckt hatten, oft ihre Lebensersparnisse
oder ihr gesamtes Vermögen. Natürlich hatten sie gehofft,
ihr Geld zu vermehren, viele hatten aber zugleich
geglaubt, dass ihre Investition ein Beitrag zur Entwicklung
des Impfstoffs sein würde. Und betroffen waren nicht nur
die Investoren, die Unterschlagung hatte auch die
Guthaben für die Altersversorgung der Angestellten von
Gen-stone, mehr als tausend Menschen, zunichte gemacht.
Die ganze Geschichte schien einfach unfassbar.
    Da Nicholas Spencers Leiche nicht zusammen mit den
Wrackteilen seines verunglückten Flugzeugs angespült
worden war, glaubte die Hälfte der Leute in der
Versammlung, dass er noch am Leben sei. Die übrige
Hälfte hätte ihn wohl am liebsten gepfählt, wenn seine
Leiche entdeckt worden wäre.
    Charles Wallingford, Vorstandsvorsitzender von Genstone, das Gesicht aschfahl, ansonsten jedoch von jener
angeborenen Eleganz, wie sie über Generationen vererbte
Privilegien und eine gute Kinderstube hervorbringen,
bemühte sich, die Versammlung zu beruhigen. Andere
Mitglieder des Vorstands saßen mit finsteren Mienen
neben ihm auf dem Podium. Allesamt waren sie bekannte
Figuren aus der Finanzwelt. In der zweiten Reihe saßen
Leute, die ich als Manager der von Gen-stone beauftragten
Wirtschaftsprüfungsfirma identifizierte. Manche von
ihnen waren von Zeit zu Zeit im Weekly Browser interviewt worden, der Sonntagsbeilage, für die ich eine
Finanzkolumne schrieb.
    Zu Wallingfords Rechten, das Gesicht bleich, die
blonden Haare im Nacken zu einem Knoten hochgesteckt,
in einem schwarzen Kostüm, das mit Sicherheit ein
Vermögen gekostet hatte, saß Lynn Hamilton Spencer. Sie
war die Frau von Nick – oder seine Witwe – und zufällig
meine Stiefschwester, die ich zuvor genau dreimal
gesehen hatte und die ich, offen gestanden, nicht
besonders leiden konnte. Ich will das erklären. Vor zwei
Jahren heiratete meine verwitwete Mutter Lynns
verwitweten Vater, den sie in Boca Raton kennen gelernt
hatte, wo sie in benachbarten Appartementhäusern
gewohnt hatten.
    Beim Dinner am Abend vor der Hochzeit hatte mich
Lynn Spencers herablassende Haltung in demselben Maße
gestört, wie ich von Nicholas Spencers Charme angetan
gewesen war. Natürlich wusste ich, wer er war. Es hatte
ausführliche Storys über ihn in Time und Newsweek gegeben. Er war der Sohn eines niedergelassenen Arztes
in Connecticut, eines Allgemeinmediziners, dessen
eigentliche Berufung der biologischen Forschung galt.
Sein Vater hatte sich in dem Haus ein Labor eingerichtet,
und seit seiner Kindheit hatte Nick den größten Teil seiner
Freizeit dort verbracht und seinem Vater bei dessen
Experimenten assistiert. »Andere Kinder hatten Hunde«,
hatte er in Interviews geäußert, »ich hatte meine weißen
Mäuse. Ich ahnte nicht, dass ich damals Privatunterricht in
Mikrobiologie von einem Genie bekam.« Er hatte eine
Business-Karriere eingeschlagen und das Master-Diplom
in Betriebswirtschaft erlangt mit dem Ziel, eines Tages
eine eigene Firma für Medizintechnik zu betreiben. Er
stieg bei einer kleinen Firma für Ärztebedarf in den Beruf
ein, kletterte schnell an die Spitze und wurde
Gesellschafter. Dann, als sich die Mikrobiologie immer
mehr als der zukunftsträchtigste Zweig der Forschung
erwies, reifte in ihm die Überlegung, sich diesem Gebiet
zu verschreiben. Er begann, sich in die Aufzeichnungen
seines Vaters zu vertiefen und entdeckte, dass dieser, kurz
bevor er eines plötzlichen Todes starb, an der Schwelle zu
einem bedeutenden Durchbruch in der Krebsforschung
gestanden hatte. Mit seinem Medizintechnikunternehmen
als Ausgangsbasis machte Spencer sich daran, eine
größere Forschungsabteilung aufzubauen.
    Kapitalbeteiligungen hatten ihm dazu verholfen, Genstone aus der Taufe zu heben, und die sich rasch
verbreitenden Gerüchte über den Krebs hemmenden
Impfstoff hatten die Unternehmensaktie zum heiß
begehrten Objekt an der Wall Street werden lassen.
Zunächst für drei Dollar angeboten, war die Aktie bis auf
einhundertsechzig
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