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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer
Autoren: Corina Bomann
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dachte er jetzt wieder daran, dass er seine Oma ebenso wie seine Cousinen und Cousins in diesem Gebäude zurücklassen musste, wenn er sie mal besuchte.
    »Auf jeden Fall müssen wir auch da durch, wenn wir zurückwollen«, erklärte Max und vertrieb damit, was auch immer ihm durch den Kopf gegeistert war.
    »Na, ich werd da sicher nicht heulen!«, tönte Kalle und legte dann seinem Bruder den Arm um die Schultern.
    Der Bahnsteig Richtung Osten war voll. Die S-Bahn schien in Ostberlin ziemlich beliebt zu sein. Besonders junge Leute tummelten sich auf den Bahnsteigen. Einige von ihnen trugen sogar Klamotten, die es bei uns zu kaufen gab. War unsere Vorstellung vom Osten, dass alle wie Höhlenmenschen rumliefen, falsch? Hatten wir überhaupt eine?
    »Und wohin jetzt?«, fragte ich Max, der es irgendwie genoss, hier zu sein.
    »Zum Alex«, antwortete er lächelnd. »Wir sehen uns die Weltzeituhr an und vielleicht kriegen wir ja was für die Lappen, die man uns angedreht hat.«
    Damit zog er sein Ostgeld aus der Tasche. Die Scheine waren wesentlich kleiner als unsere eigenen, hatten andere Farben, aber immerhin kannte ich die Gesichter, die darauf abgebildet waren. Es überraschte mich, dass mich Goethe vom Zwanziger ansah, während auf dem Fünfer Müntzers missmutige Miene prangte. Die Bilder hatte man uns in der Schule gezeigt.
    Weder Müntzer noch Goethe waren ausgewiesene Kommunisten. Bei DDR -Geld hätte ich zumindest Stalin oder Breschnew erwartet. Oder dass sie überhaupt kein Scheingeld hatten, nur diese komischen Münzen aus Blech, von denen mein Vater mal welche mitgebracht hatte, als er in Ostberlin unterwegs gewesen war.
    »Cool, ey!«, entfuhr es Kalle, als er sah, dass jemand, noch während die S-Bahn einfuhr, die Türen aufriss und dann absprang – obwohl sie noch mit mindestens zehn Sachen unterwegs war. »Ich wollte schon immer mal S-Bahn-surfen!«
    »Und dir dann die Knochen brechen, was?«, fuhr Flocke ihn an. »Ich kann dann unseren Alten erklären, was passiert ist und kriege eins auf ’n Deckel dafür, dass ich dich nicht abgehalten hab!«
    Mit der Menge trieben wir nun zum Zug. Sitzen konnten wir eh nicht, sämtliche Plätze waren besetzt, und im Mittelgang drängten sich bereits die Leute. Wir stellten uns an die Seite, rückten so dicht wie möglich zusammen und hofften, dass sich nicht noch mehr Menschen in den Waggon pressen würden. Doch es kamen noch etliche. Endlich ertönte ein lautes »Zurücktreten!« vom Bahnsteig und die Türen wurden geschlossen. Eingequetscht wie Sardinen in der Büchse kutschierte uns die Bahn in Richtung Alexanderplatz.
    Da waren wir also! Der Alex breitete sich vor uns aus. Im strahlenden Sonnenlicht sah er nicht mal so trist aus, wie ich erwartet hatte. Allerdings fehlten mir irgendwie die Soldaten, die wir manchmal in Nachrichtensendungen im Stechschritt auf und ab gehen sahen. Waren sie eine Erfindung der Medien? Oder waren sie nur heute nicht da?
    Das Einzige, was ich sah, waren normale Leute, mehr oder weniger bunt gekleidet, mit Einkaufsbeuteln, Rucksäcken oder Taschen. Und Kinder, die dazwischen kreischend umhertobten.
    Bierfahnen umschwirrten uns, dann wieder der Duft von Parfüm oder Zuckerwatte. Eine asiatisch aussehende Touristengruppe wurde an uns vorbeigeführt; vor dem Eingang eines Kaufhauses entdeckte ich dann doch zwei russische Soldaten, die aber nicht marschierten, sondern sich Zigaretten drehten und miteinander erzählten.
    Über allem erhob sich der Fernsehturm, den wir auf unserer Seite auch sahen, wenn wir in Richtung Kreuzberg unterwegs waren. Über der schon etwas angerosteten Weltzeituhr kreiste das Modell unseres Planetensystems. Irgendwo bimmelte eine Straßenbahn.
    Lange brauchten wir nicht auf irgendeine Parole zu warten. »Mit dem ZK der SED auf Du und Du«, war auf einem Banner an einem Gebäude zu lesen. Offenbar waren aber nicht alle Leute so begeisterungsfähig, denn an einer Ecke war ein A in einem Kreis abgebildet, das Zeichen für Anarchie. Dass das da stehen durfte …
    Wir liefen eine Weile auf dem Alex und in den Seitenstraßen herum und fanden dann tatsächlich eine Buchhandlung. Über den Buchstapeln im Schaufenster schwebten papierne Friedenstauben an dünnen Bindfäden. Kaffeegeruch begrüßte uns beim Eintreten, hinter dem Verkaufstresen saß eine Frau, die Nase in ein Buch versenkt – auf den ersten Blick war es nicht anders als bei uns.
    »Hallo, Frau Gabriel!«, rief Max zu meiner Überraschung.
    »Ah, Max,
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