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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer
Autoren: Corina Bomann
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auch mal wieder hier?« Als sie vom Buch aufsah, bemerkte ich, dass sie bestenfalls dreißig war und ziemlich hübsch, mit langen blonden Locken und fröhlichen blauen Augen.
    Alle Blicke richteten sich auf Max, der knallrot wurde. »Ja, klar, ich wollte meinen Freunden mal Ihren Laden zeigen.«
    Die Frau lächelte ihn freundlich an. »Na dann mach mal. Wenn du was brauchst, sag Bescheid.«
    Als wir zwischen den Regalen verschwanden, stupste ich ihn in die Seite. »Du kennst eine Buchhändlerin aus dem Osten?«
    »Na ja, wenn wir hier sind, komme ich manchmal her. Sie kennt auch meinen Vater.«
    »Und warum hast du das nicht gleich gesagt?«
    Max zuckte mit den Schultern.
    Das Regal, zu dem er uns zuerst führte, enthielt tatsächlich nur Literatur für DDR -Funktionäre. Neben Klassikern wie Friedrich Engels und Karl Marx, die wir kannten, weil wir uns politisch links einsortierten, gab es auch zahlreiche Bücher von Lenin, Erich Honecker und irgendwelchen uns vollkommen unbekannten DDR -Politikern sowie Werke über die Vorteile der Planwirtschaft, die U d SSR und Manifeste des ZK der SED .
    Flocke war sprachlos, Kalle griff zu einem der Bücher, das sich als das »Manifest« von Karl Marx entpuppte. Es war in rotes Leinen gebunden, der Buchblock war schneeweiß und wenn Kalle nicht übertrieb, war es ziemlich schwer.
    »Na schaun wir doch mal, was der olle Kalle so schreibt.« Kalle war sich natürlich bewusst, dass er Marx damit zu seinem Namensvetter machte.
    »Na, Jungs, auf den Spuren des Sozialismus?« Die Stimme der Frau, die urplötzlich hinter uns aufgetaucht war, ließ uns zusammenfahren. Kalle fiel das Manifest aus der Hand. Mit rotem Kopf murmelte er eine Entschuldigung und hob es wieder auf.
    »Ha … haben Sie noch was anderes?« Flocke zeigte ein wenig hilflos auf die Reihen von Parteiliteratur.
    »Na klar!«, antwortete die Buchhändlerin und zwinkerte Max zu. »Was soll es denn sein? Russische Autoren, Klassiker? Wie wäre es mit Tschingis Aitmatow oder Arkadi Gaidar?«
    Diese beiden Namen sagten uns nichts. Das schien sie zu spüren. Kurz musterte sie uns von Kopf bis Fuß, dann schien sie so etwas wie eine Erleuchtung zu haben. Etwas blitzte in ihrem Blick auf.
    »Hm, was meinst du, Max, kann ich es ihnen zeigen?«
    Ich fragte mich, was sie uns zeigen wollte.
    Max, der zu wissen schien, was sie meinte, nickte.
    »Na gut, dann kommt mal mit!« Mit langen Schritten stiefelte sie quer durch die Buchhandlung. Als wir schon glaubten, dass sie uns zur Hintertür wieder rausschmeißen würde, schloss sie eine kleine Tür unter einer Treppe auf und knipste das Licht an. Muffige Luft strömte uns entgegen – dann sahen wir einen weiteren Büchertisch.
    Auf Anhieb entdeckte ich hier eine Ausgabe von Stokers »Dracula«, »Moby Dick« von Melville, ein Buch über die Seefahrt und verschiedene Biografien. Außerdem Karl Mays »Winnetou« und einen Titel namens »Spur der Steine«, Bücher von Heinrich Böll und Solschenizyn. Warum lagerten die hier hinten, wo sie keiner sah?
    »Schaut euch hier mal um«, sagte sie mit einem vielsagenden Lächeln. »Wenn ihr was gefunden habt, bringt ihr es mir und schließt dann wieder die Tür, in Ordnung?«
    Als wir nickten, wandte sie sich um und ging wieder nach vorn. Wir standen etwas ratlos um den Büchertisch herum. Max grinste in sich hinein.
    »Was ist?«, fragte ich ihn.
    »Ihr habt Glück. Es hat einige Besuche gedauert, bis sie meinen Vater und mich hierher gebracht hat«, entgegnete er. »Du musst wissen, sie lässt hier nicht jeden rein.«
    »Und warum?«
    Flocke und Kalle schlichen um den Tisch herum und hörten eh nur beiläufig zu, während Max im Flüsterton antwortete: »Verbotene Bücher!«
    Verbotene Bücher? »›Dracula‹ ist in der DDR verboten?«
    Max zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber guck mal, das ist ’ne Westausgabe! Von Solschenizyn weiß ich ganz sicher, dass er in der DDR verboten ist. Und Karl May auch.«
    Da ich als Kind Karl May verschlungen hatte, konnte ich mir das Verbot nicht erklären. Und Solschenizyn hörte sich russisch an. Warum sollte hier ein russisches Buch verboten sein?
    Ich griff nach dem Buch mit dem Titel »Der Archipel Gulag« und entdeckte, dass es wie der »Dracula« aus einem unserer Verlage stammte.
    »Bekommt die Buchhändlerin denn nicht Ärger deswegen?«
    »Wenn sie sie erwischen, schon«, entgegnete Max.
    »Dann sollten wir welche kaufen, damit sie sie loswird.«
    Max prustete los. »Sie hat noch
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