Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer
Autoren: Corina Bomann
Vom Netzwerk:
Kopf und antwortete nicht. Da wusste ich, dass ihn nicht die billigen Zigaretten und der Schnaps herzogen. Er hatte eine Verbindung zu Ostberlin. Sein Vater stammte von hier und er hatte hier auch Verwandte. Ich war einer der wenigen, die das wussten. Wollte er sie besuchen? Aber warum nahm er dann uns mit?
    Dennoch machte mein Freund einen auf hart und antwortete: »Ich will euch nur mal die Stadt zeigen, das ist alles.«
    Ich schüttelte den Kopf und klopfte ihm auf die Schulter.
    Wenig später standen wir an der Passkontrolle in einer Schlange von etwa fünfundzwanzig Leuten, meist Geschäftsmännern, die rüber nach Ostberlin wollten.
    Von weit hinten konnten wir alles genau beobachten. Nicht nur die bewaffneten Grenzsoldaten, die sicherstellten, dass auch niemand die Grenze unbefugt übertrat, sondern auch die große Halle mit den Türen, an denen solche Aufschriften wie »Diplomaten«, »Bürger Westberlins«, »Bürger der BRD « und andere prangten. Wir hatten uns brav in die Westberlin-Schlange eingereiht, und ich fragte mich, ob es von der Tür abhängig war, wie wir behandelt werden würden.
    Hin und wieder öffnete sich eine der Türen vor uns – um zu signalisieren, dass der nächste Bittsteller eintreten konnte. Obwohl wir viel Zeit gehabt hätten, uns über alles Mögliche zu unterhalten, schwiegen wir. Flocke und Kalle wirkten immer noch, als würden sie gleich in ein Karussell einsteigen. Max und ich tauschten stumme Blicke.
    Als wir endlich nach fast einer Stunde die Tür für Westberliner erreicht hatten, trat Max als Erster ein.
    »Wer weiß, vielleicht holen sie ihn weg und schleppen ihn zu ihrer Armee«, bemerkte Kalle, der sich für witzig hielt.
    Sein Bruder schüttelte den Kopf. »Beachte ihn einfach gar nicht«, sagte er abwinkend zu mir.
    Die Vorstellung, dass Max in eine Uniform gesteckt wurde, war schon lustig. Aber das war wie so vieles ein Märchen.
    Als die Tür erneut aufging – ziemlich schnell, wie ich fand –, zuckte ich zusammen. Max war nicht mehr da, wahrscheinlich war er durch eine andere Tür raus. Kalle versetzte mir einen Stoß. »Geh du!«
    Klar, damit sie jetzt mit mir die Verschleppt-zur- NVA -Nummer durchziehen konnten. Mochten sie auch völlig unterschiedlich sein – wenn es darum ging, über jemanden herzuziehen, waren die Zwillinge ein Herz und eine Seele.
    Als ich den Raum betrat, erwartete mich hinter einem Schalter ein einzelner Grenzpolizist in grauer Uniform. Er verlangte meinen Pass, musterte ihn gründlich, schaute in den Spiegel hinter mir, ob ich auch nichts versteckte, und fragte mich dann, was für ein Visum ich haben wolle.
    Ich war zunächst überfordert von den Möglichkeiten, die er mir aufzählte – wahrscheinlich glaubte er wegen meines Mehrfachberechtigungsscheines, ich wollte neun lange Tage hier verbringen –, doch ein Tagesvisum erschien mir am sinnvollsten.
    Nachdem er mürrisch schweigend einen Wust an Papierkram erledigt hatte – Stempel hier, Stempel da –, durfte ich passieren, allerdings nicht ohne den Hinweis, dass ich zur Kasse und zum Zoll müsse.
    Die zweite Tür öffnete sich summend, ich war wieder frei. Keine NVA . Also tigerte ich wie alle anderen zur Kasse, wo ich auf Max traf. Wieder hieß es anstehen. Beim Zoll wurden Taschen anderer Reisender untersucht, Max und ich, nachdem wir bezahlt hatten, durchgewunken. Wir hatten ja kein Gepäck dabei und sahen auch nicht so aus, als hätten wir irgendwas unter unseren T-Shirts versteckt.
    Endlich stießen Flocke und Kalle zu uns. Kalle wirkte irgendwie blass um die Nase. Hatte er einen seiner Scherze bei dem wortkargen Grenzer gerissen und dafür eins auf den Deckel bekommen? Oder von Flocke, der ihn davor gewarnt hatte, genau das zu tun?
    Nachdem wir unsere fünfundzwanzig D-Mark in Ostmark umgetauscht hatten, gingen wir zum Bahnsteig, wo die Züge zum Alexanderplatz abfuhren. Dabei fiel mein Blick auf ein großes verglastes Gebäude, das irgendwie nicht wirklich zum Bahnhof zu gehören schien.
    »Das ist der Tränenpalast«, erklärte Max. »Der heißt so, weil sich die Zonis hier von ihren Westverwandten verabschieden müssen – weiter dürfen sie nicht.«
    »Und warum heißt er dann nicht Abschiedspalast?«, warf Kalle ein und erntete einen Knuff von seinem Zwilling, der wohl verstanden hatte, was Max damit sagen wollte.
    »Na wegen der Tränen, die beim Abschied geheult werden, du Idiot«, klärte er ihn auf.
    Bei Flockes Worten schaute Max ganz komisch. Wahrscheinlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher