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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer
Autoren: Corina Bomann
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da mal ein Graffiti zu sehen. Und wenn nicht, schreiben wir einfach was auf die ollen Holzbänke. Bis das die Bahner merken, sind wir längst raus.«
    Als ob es mich reizen würde, die gammeligen Züge zu beschmieren!
    »Außerdem könntest du dir die DDR mal von ganz Nahem anschauen«, setzte Max hinzu, als wäre dies ein Argument, um mich von meinem Hocker loszueisen.
    »Das hab ich doch schon«, gab ich lustlos zurück.
    Zu Beginn des Schuljahrs hatte es unsere Klassenlehrerin für eine gute Idee gehalten, zu einem der Aussichtstürme zu fahren, von denen aus man nach drüben schauen konnte. Auf die Grenzer von der anderen Seite, den Todesstreifen, die Häuser, von denen einige wie von der Mauer durchgeschnitten aussahen, und auf die Leute, die wie Tiere in einem seltsamen Zoo wirkten.
    Viele aus meiner Klasse hatten das lustig gefunden, mir war’s einfach nur peinlich, und ich war froh gewesen, als wir von dem Turm wieder herunter waren. Was die auf der anderen Seite wohl von uns gedacht hatten? Wie fühlte man sich, wenn man wie ein Zootier begafft wurde?
    »Nun komm schon!«, murrte Max und zerrte an meinem Ärmel wie ein ungeduldiges Kind. »Ja, wir waren auf dem Turm. Aber es ist ganz anders, über den Alex zu laufen, glaub mir! Willst du dir denn nicht die Läden anschauen, in denen es nichts gibt? Oder die gammeligen Häuser voller seltsamer Parolen? Mensch, vielleicht kriegen wir ja sogar den ollen Erich zu Gesicht!«
    Ich wusste genau, dass wir »den Erich« ebenso wenig zu sehen kriegen würden wie den Rest der alten Herren, die die DDR regierten, doch da Max mir ohnehin nicht von der Pelle rücken würde, gab ich nach.
    »Na gut, fahren wir nach Ostberlin. Aber nur das eine Mal, okay? Nicht, dass du den ganzen Sommer ankommst, wir sollten einmal pro Woche rüber.«
    »Einmal«, versprach Max. »Als Jux, okay?«
    Ich nickte, sah noch mal auf meine Gitarre und klappte den Koffer zu.
    »Du weißt aber auch, dass du fünfundzwanzig Mark umtauschen musst – und fünf Mark Gebühr für den Grenzübertritt brauchst. Nimm dir lieber Geld mit.«
    »Dreißig Mark?«, platzte es aus mir heraus. Dafür hätte ich mir neue Pleks und Saiten kaufen können! Was sollten wir für so viel Geld in einem Land kaufen, in dem es nichts zu kaufen gab? Außerdem bekam ich nur dreißig Mark Taschengeld. Mein Vater mochte Anwalt sein, aber er war auch der Meinung, dass man den Umgang mit Geld nur lernte, wenn man als junger Mensch nicht so viel auf einmal davon besaß.
    »Bücher, Mann!«, rief Max aus, als hätte er meinen Gedanken gelesen. »Bücher und Kippen! Vielleicht auch ’ne Flasche Alk. Mehr brauchen wir für ein paar schöne Tage am Wannsee nicht, oder? – Ach ja, und wir müssen noch in die Schloßstraße. Uns so einen Berechtigungsschein für ein Visum holen.«
    »Berechtigungsschein?«
    »Ja, ohne lassen die dich nicht über die Grenze. Aber da ist um die Zeit eh keiner.«
    Ich hatte eigentlich keine Lust, mir auf einem Amt irgendeinen Zettel für die Grenze zu holen, aber wenn Max meinte …
    Nachdem wir die beiden Kunstmann-Zwillinge, die eigentlich Karl und Michael hießen, aber nur Kalle und Flocke genannt wurden, aufgegabelt hatten, machten wir einen Abstecher nach Steglitz, wo wir im »Büro für Besuchs- und Reiseangelegenheiten« ungefähr eine halbe Stunde brauchten, um die Berechtigungsscheine zu bekommen. Diese sahen nicht nur aus wie auf rosa Klopapier gedruckt, sie fühlten sich auch so an. In der Mitte prangte das Emblem der DDR . Mein Schein hatte neun freie Felder, in die ein Stempel hineingesetzt werden konnte.
    »Eh Mann, du hast dir ja einen Mehrfachschein geholt!«, rief Max aus, als er das Teil sah.
    »Ja, ist der nicht richtig?«, fragte ich, während ich den schlaffen Zettel betrachtete.
    »Doch, aber hattest du nicht gesagt, dass du nur einmal nach Ostberlin fahren willst?« Max’ Augen funkelten schelmisch. »Damit kannst du sogar neun Mal fahren! Dann wissen wir ja beide, was wir in den Ferien machen.«
    Oh nein! Wie konnte mir das nur passieren? Die Frau hinter dem Schalter hatte nichts von Mehrfachschein gesagt, sie hatte mir einfach einen gegeben, und ich hatte nicht draufgeschaut.
    »Muss ich denn jetzt neun Mal hin?«, fragte ich, worauf Max lachte.
    »Natürlich musst du nicht. Wenn du nicht mehr willst, lässt du den Wisch einfach liegen oder verheizt ihn. Aber es wäre doch toll, Stempel zu sammeln, oder? Ist fast wie Rabattmarken!«
    Flocke und Kalle hatten natürlich die
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