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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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niemals zuvor gesehen und seinen Namen niemals zuvor von meiner Tante oder sonst jemandem gehört. Das ist Ihnen bekannt, nicht wahr?«
    »Ja, das ist mir bekannt. Können wir … können wir nicht ein wenig freundlicher miteinander sprechen, Fräulein Waldegg? Sie sehen doch, ich gebe mir Mühe, mich zu beherrschen, gerecht zu sein, freundlich …« Sie antwortete nicht. Aber sie nickte kurz.
    »Ich weiß, daß Ihre Tante schon lange in dieser Buchhandlung gearbeitet hat. Wie lange? Das weiß ich nicht, wirklich nicht.«
    »Eine Ewigkeit.« Zum erstenmal klang ihre Stimme weicher. »Sie war dort schon angestellt, als ich geboren wurde. Ich bin einunddreißig. Seit 1938 hat Valerie da gearbeitet.«
    »Valerie?«
    »Ich nannte sie nur Valerie. Sie hatte das lieber. Sie meinte, es macht sie jünger.« Irene Waldegg bog in eine neue Allee ein. Hier war kein Mensch mehr zu erblicken. Die neue Allee lief geradeaus. »Zuerst war Valerie als Verkäuferin angestellt, glaube ich, dann, nach dem Krieg, als Erste Verkäuferin, und seit zwölf Jahren als Prokuristin.«
    »Und an dem Tag, an dem es passierte, was war da?«
    Irene Waldegg schaltete einen Gang zurück, denn eine große Fläche Glatteis lag vor ihnen. Die junge Frau schwieg, und sofort flackerte wieder Mißtrauen, Argwohn in Aranda auf. Legte sie sich eine gute Lüge zurecht, endlich eine Lüge, wie?
    »Nun!«
    »An dem Tag, an dem es passierte …« Irene Waldegg brach ab.
    »Ja! Heute vor einer Woche!«
    Sie sprach mit Mühe ruhig: »Wir gingen am Morgen gemeinsam aus dem Haus, Valerie und ich. Wir sind immer gemeinsam gegangen. Ich brachte sie mit dem Wagen in die Buchhandlung, bevor ich zur Apotheke fuhr.« Sie bemerkte nicht, wie sie plötzlich in der Gegenwart sprach: »Das geht schon so, seit ich den Wagen besitze, jahrelang. Nur immer dann nicht, wenn ich Nachtdienst habe. Morgen zum Beispiel.«
    »Morgen was?«
    »Heute habe ich Nachtdienst. Da kann ich Valerie morgen früh nicht in die Buch …« Irene Waldegg brach ab. »Schrecklich«, sagte sie. »Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, daß sie tot ist.« Sie fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Die Geste rührte Aranda. Diese Frau hat einen Menschen verloren – genau wie ich, dachte er. Sie ist verzweifelt – genau wie ich. Ratlos, verwirrt, angsterfüllt, zornerfüllt – wie ich. Nein, das ist kein Theater, das sie mir vorspielt. Vielleicht habe ich einen Menschen gefunden in dieser Stadt des Zwielichts, die eine der schönsten Städte der Welt ist, einen Menschen unter Millionen, dem ich doch vertrauen darf?
    »Valerie war so lustig an dem Morgen«, sagte jener Mensch.
    »Warum?«
    »Sie hatte einen Farbfernseher gewonnen. Beim Preisausschreiben einer Zeitung. Sie machte immer alle Preisausschreiben mit – solange ich zurückdenken kann. Sie sagte: Einmal hat jeder Mensch Glück.«
    »Einmal hat jeder Mensch Glück«, wiederholte er laut. »Das hat Frau Steinfeld bei einer anderen Gelegenheit auch gesagt. Bei einer ganz anderen Gelegenheit.«
    Wieder schauderte sie.
    »Ja, ich weiß.«
    »Weiter«, sagte er. »Erzählen Sie weiter.«
    Sie begann leise: »Niemals gewann sie etwas. Aber an diesem Tag – ich meine, am Abend vorher, als sie heimkam – lag ein Brief von dieser Zeitung da. Eine Benachrichtigung, daß sie gewonnen hätte. Valerie sah so gern fern …« Irene Waldegg sagte verloren: »Inzwischen ist der Apparat gekommen. Ein sehr schönes Modell …« Wieder bog sie ab. Die Landschaft wurde immer gespenstischer, die Schneeberge zu beiden Seiten der Allee wuchsen höher und höher an.
    Aranda sagte: »Ihre Tante ist nicht mehr heimgekommen an jenem Abend. Hat Sie das nicht beunruhigt?«
    »Zuerst nicht. Sie kam häufig später – es war oft noch viel zu tun nach Geschäftsschluß. Natürlich, als es neun wurde, machte ich mir Sorgen. Das Wetter war so schlecht. Schneesturm. Ich dachte an einen Unfall. Und ich wollte eben in der Buchhandlung anrufen, da klingelte es … Die Kriminalbeamten kamen, um mich zu holen.«
    »Sie haben also nicht mehr mit Ihrer Tante telefoniert.«
    »Nein.«
    »Aber Valerie Steinfeld, die hat telefoniert.«
    »Ja«, antwortete Irene Waldegg leise. »Ich habe das Gespräch gehört.«
    »Ich auch«, sagte Manuel Aranda. »Dreimal.«

6
    »Getötet! …
Getötet habe ich ihn! … Kapsel … mit der Kapsel … da liegt er jetzt! … Einmal … hat jeder Mensch Glück …«
    Stammelnd erklang die Frauenstimme, lallend, Pausen lagen
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