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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
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haben gelernt, uns mit vielem abzufinden, das ist unromantisch genug. Der Verlust klebt an den Füßen wie Blasen, gegen die wir uns Einlegesohlen kaufen. Wir schmirgeln unsere Haut ab, damit sie glatt und weich wird, und kaufen Schuhe mit Fußbett und eine Nummer zu groß. Und es hilft. Es hilft am Ende ja doch und wir werfen uns das langsame Verblassen des Schmerzes vor, wir fühlen uns schuldig, weil zwar nicht der Tag kommt, an dem du sagst: Heute halte ich es aus. Aber es kommt der Tag, an dem du nicht als erstes an den Schmerz denkst. Und manch einer wirft es sich vor, wenn er sich wieder gut fühlt. Manch einer glaubt nicht mehr daran, glücklich zu werden, und wenn es dann doch passiert, kann es sein, dass er es mit Absicht übersieht. Und manch anderer wird es vielleicht nie los, auch wenn er dachte, er sei längst darüber hinweg. Dann fährt es ihm kalt zwischen die Rippen.Man konnte im Hausflur unseren Atem sehen an dem Morgen, als wir Lene zum Flughafen brachten. Mein Magen tat weh. Der Weg zu Lene schien ewig, die Kiesel knirschten unter unseren Füßen. Und manchmal verrutschte ein Schritt auf dem über Nacht vereisten Bürgersteig. Vince legte seinen Arm um meine Hüfte, als der Bäcker an der Ecke gerade die Jalousien nach oben ließ, die Tür öffnete und frischer Brötchenduft zu uns nach draußen strömte. Kaum jemand war unterwegs an diesem Dezembermorgen. Und schon in zwei Tagen würde man von all dem nichts mehr wissen, würden alle jubeln und schreien und knallen und sich in allem übertreffen wollen. Irgendwie hilft der Jahreswechsel doch, man hat ein bisschen das Gefühl, noch einmal anfangen zu dürfen, in eine neue Klasse zu kommen. Man macht sauber, man ruft jemanden an, den man lange nicht gesprochen hat, oder wird selbst angerufen, bekommt eine SMS und schüttelt den Kopf und denkt ein paar Minuten darüber nach.
    Lene hatte am Morgen angerufen, damit wir nicht verschlafen. Beim Zurückschlagen der Bettdecke war die Luft kalt gewesen. Manchmal leuchteten Autoscheinwerfer uns mitten ins Gesicht, der Rest war still und dunkel. Mein linkes Hosenbein wurde ganz warm von der Heizung unter dem Sitz in der Straßenbahn. Es war seltsam zu wissen, dass es wahrscheinlich die richtige Entscheidung war, die Lene da getroffen hatte, ein neues Land und neue Menschen, eine völlig neue Umgebung zu einem neuen Jahr. In meinem anderen Hosenbein jedoch saß das Gefühl, nur noch zu ihrem alten Leben zu gehören, in dieser Stadt gelassen zu werden,die Angst, sie vielleicht zu verlieren und dennoch nicht aufzuschreien deswegen oder mit dem Fuß auf den Boden zu stampfen. Zum ersten Mal war jemand wichtiger als ich. Und so gern ich sie in mein Bett gesetzt, ihr ein Nest gebaut oder sie einfach gebeten hätte zu bleiben, ich hätte es nie gewagt.
    Nebel hing zwischen den Häusern, im Schein der Laterne atmete Vince weiße Schwaden in die Nacht. »Noch riecht es nicht nach Heizung, merkst du das?«, fragte er, um irgendetwas zu sagen, glaube ich. »Nachts drehen die meisten runter und lüften vor dem Schlafengehen. Auch im Winter.« Ich nickte nur, und er nahm mich an der Hand, ein bisschen musste er mich ziehen, damit wir nicht zu spät kamen. Am liebsten hätte ich einen Schneesturm bestellt, eine Krankheit vorgetäuscht. Aber die Nacht war ein zugeknöpfter Mantel und der Himmel klar wie lange nicht, von Schnee keine Spur, und ich hatte nicht einmal Schnupfen. Vince schloss die Haustür auf, ein Bus fuhr hinter uns vorbei und einen Moment lang dachte ich, er käme gleich von der Fahrbahn ab und auf uns zugerollt, so laut donnerte es in den Ohren. Ich schleppte mich die Treppe hinauf, immer eine halbe Etage hinter Vince. Und ich hörte, wie Lene ihm mit dem Öffnen der Tür von innen zuvorkam. Sie hatte Tee gemacht und grinste uns an, und mir war so gar nicht nach Grinsen zumute, ich kämmte mir den Pony in die Stirn. Im Flur stand ein geöffneter Koffer, überall lagen Wäschestücke herum und Stadtpläne und Bücher, einzelne Schuhe und Tablettenschachteln, ein paar Tropfen und Strümpfe. »In einer halben Stunde müssen wir los«, rief Vince aus seinemZimmer, wo er die Jacke ablegte und Musik anmachte. Als er wiederkam, zog er mir die Jacke aus und hängte sie an den Haken. Ich hockte mich zwischen Lenes Sachen, während sie immer wieder an mir vorbeilief und etwas in den Koffer warf, das ich daraufhin noch einmal in die Hand nahm, gegebenenfalls faltete und ordentlich hinein legte. Vince fragte nach
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