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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
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Kopf auf dem Küchentisch wieder ein. Ich träumte etwas, aber ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, als mich das Klingeln des Telefons weckte. Im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich war. Das Telefon klingelte weiter, ich fand es im Bad, das Déjà-vu war vorprogrammiert, als ich zur Wanne stolperte. Auf dem Schuhregal lag die in der Plastikfolie schimmelnde Pizza. »Kannst du kommen?«, fragte Vince leise. Ich funktionierte seltsamerweise erstaunlich gut, ohne Störungen im System. Eine halbe Stunde später stand ich wieder vor Lenes Zimmer, ich fühlte mich wie nach vier Tassen Kaffee, alles zitterte, aber die Leitungen waren intakt, die Muskeln reagierten auf die Befehle aus dem Gehirn. Ich öffnete die Tür, Lene saß auf dem Boden, sie schaute nach oben aus dem Fenster und ich setzte mich hinter sie, mein Bauch in ihrem Rücken. Sie zitterte auch.

    Wir liefen ein bisschen durch die Straßen, alles hatte irgendwie mit Vorsicht zu tun. Und das Videoclipgefühl wich nichtvon unserer Seite, das Gefühl, sich in Zeitlupe zu bewegen, sich selbst von schräg hinten zu sehen. Als habe jemand die Sättigung heruntergedreht und die Verbindung von Körper und Geist abgeklemmt. Ein krisseliges Bild, ein bisschen verwackelt, und Menschen, die durchs Bild laufen, von denen man manchmal im ersten Moment denkt, sie vielleicht zu kennen. Dann schüttelt man den Kopf und versucht, nicht mehr auf die Gesichter zu achten, sondern nur noch auf die Straßenschilder und Ampelphasen, auf die Tafeln, die auf dem Bürgersteig stehen und auf die jemand in schräger Schönschrift die Angebote des Tages geschrieben hat. Ich lief einen halben Schritt hinter Lene, Vince war zuhause geblieben, um zu kochen und Wäsche zu waschen, das sagte er jedenfalls. Mit der Hand strich sie manchmal die Häusermauern entlang, es machte ein leises, seltsames Geräusch, diese Haut auf dem Stein. Die Straßen dampften vor Hitze, und irgendwann saßen wir am Spreeufer und schauten auf den Dom, während die ganze Zeit Dampfer mit Touristen beladen an uns vorbeizuckelten, behäbig und schwerfällig. Neben uns spielten sich ein paar barfüßige Jungs einen Hackysack zu, irgendwo lachte jemand und irgendwo rief jemand, und die meisten suchten den Asphalt mit den Augen nach einem Stück Schatten ab. Es schien immer wärmer geworden zu sein, jeden Tag ein halbes Grad, und ich fragte mich, was wohl die Konsequenz wäre, wenn es einfach immer so weiterginge. Ob wir langsam vor uns hin schmelzen würden und alle Materialien eine puddingartige Konsistenz hätten. Ob irgendwann auch die Nachrichten und das hysterische Geschrei in den Medien aufhören würden, weilniemand mehr die Kraft hätte, auch nur den Mund zu öffnen. In einer kochenden Hitze würde alles verstummen und irgendwann verschwimmen zu einem dicken Brei aus Asphalt und Blech und Plastiktüten, aus Haaren und Stoff und Hautschuppen und Grashalmen, aus Ästen und Abwasser und Glas, und niemand könnte mehr das eine vom anderen unterscheiden. Es müsste auch eine Farbe haben, dieses dickflüssige, zähe Gemisch, das sich wie die Dampfer langsam über die Wege schieben und immer neue Dinge mitreißen würde. Lene ging los und kaufte uns ein Eis bei dem Mann, der mit seinem Autobus oben auf der Brücke stand und durch ein Megaphon plärrte. Er wurde dadurch nicht ruhig, ich bekam Schokolade und Banane, während Lene eine Waffel mit zwei Kugeln Zitrone in ihren Händen hielt und dem Eis beim Schmelzen und Herunterlaufen zusah, beim Tropfen auf den Stein. Als die Hälfte rausgetropft war und die andere Hälfte flüssig in der Waffel stand, goss sie sich diese wie Wasser in den Mund. Mit dem Handgelenk wischte sie sich über die Mundwinkel, und dann klebten ein paar Tropfen dort an dünnen, blonden Härchen für den Rest des Tages und am Abend noch, als wir gemeinsam vor ihrem Kleiderschrank standen und schauten und schwiegen.
    Die Nacht verbrachten wir zu dritt im Bett, ineinander verkeilt, schwer atmend, nur kurz schlafend. Die Laternen gingen an, als Lene erzählte, wie sie damals mit Tim in Kreuzberg unterwegs war, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten. Er trug die Schuhe von dem Photo.Sie hatten schon vor dem Abendessen angefangen, Wodka zu trinken, in einer Eckkneipe sitzend, der Schnaps wurde ihnen in winzigen Gläsern von der Bedienung auf den Tisch geknallt, sie wusste auch gar nicht mehr, wer auf die Idee gekommen war, aber sie saßen in dieser verrauchten Eckkneipe und zählten die
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