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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
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zersplittert. Hielt man die beiden Hälften aneinander, blieb in der Mitte ein Riss.

    Wir gingen zum Leuchtturm, Lene kaufte eine Postkarte und legte ihre Wange an den roten Backstein, der in der Sonne warm geworden war. Auf dem Rückweg wurden ihre Schritte kürzer und langsamer, hier und da fand sie amWegrand etwas, das zu beobachten war, ein Vogel auf dem Baum, ein Rascheln im Gebüsch, das Muster eines Baumstammes. Vince legte irgendwann seinen Arm um sie, und dann gingen wir einfach nur noch geradeaus den Weg durch das Naturschutzgebiet bis zum Zeltplatz zurück. Und Lene wartete in einem Campingstuhl, bis Vince und ich die Sachen zusammengesucht hatten. Gerade, als wir die Taschen vor den Wohnwagen gestellt, den Tisch zusammengeklappt und verstaut hatten, stand sie noch einmal auf und ging in Richtung Strand. »Lass sie«, sagte ich leise zu Vince, der sich beschweren wollte. Und während Lene den kleinen Hügel der Düne überwand und dahinter verschwand, trugen wir das Gepäck zum Auto und verstauten es. Wir öffneten alle Türen, kurbelten die Fenster herunter, und als Vince ein paar Kassetten aus dem Handschuhfach hervorkramte, um etwas für die Fahrt auszusuchen, stopfte ich sie wieder zurück und erklärte ihm, dass wir die nicht brauchen würden. Noch nicht. Lene kam eine halbe Stunde später langsam zwischen den Bäumen hervor. Sie setzte sich auf die Rückbank, leerte ihre Schuhe noch einmal aus. Als sie die Füße ins Auto gehoben und sich angeschnallt hatte, schaute sie uns mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an: »Können wir?« Die Türen wurden geschlossen, ich setzte mich zu ihr nach hinten, und als wir wieder auf der langen Straße entlang des Dünenwaldes waren, zog sich auch mein Magen krampfartig zusammen. Lene hatte das Fenster offen gelassen und streckte ihren Kopf hinaus in Richtung Meer, sie behielt ihn draußen, als wir am Bodden vorbei über die schmale Brücke aufs Festland zurückfuhren. Dann erstlehnte sie sich zurück, kurbelte die Scheibe hoch und fragte: »Können wir das Radio anmachen?« Und Vince schaltete das Radio ein, sie löste ihren Gurt und legte ihren Kopf auf meine Beine, bekam nichts mehr mit von der Landschaft da draußen, während ich die Rapsfelder, das leuchtende Gelb und satte Grün zum ersten Mal wirklich betrachtete. Die kleinen Häuser und Strommasten, die an uns vorbeiflogen, die gelangweilten Kinder mit den Gameboys auf den Rücksitzen der Kombis, Pferde, Schafe und Kühe, die sich in den Schatten der Bäume und Büsche zurückgezogen hatten, die riesigen Wolkenberge am Horizont. Manchmal drehte Vince sich vergewissernd um, schaute zwei, drei Sekunden und sah dann wieder auf die Straße, zwischendurch fanden wir einander ab und an im Rückspiegel. Als wir kurz vor Berlin waren, schreckte ich auf. Es war dunkel geworden, der Wagen zuckelte durch ein Industriegebiet, Lenes Kopf schien mittlerweile zehn Kilo auf meinem Oberschenkel zu wiegen. Vor uns lag die Stadt im Dunkeln, und ich bekam es mit der Angst zu tun.

    Die Schritte die Treppe hinauf hallten laut. Zuvor das Klicken des Lichtschalters, das Geräusch des Briefkastenschlüssels im Schloss, gefaltetes und gestopftes Papier. Durch das Fenster im Hausflur konnte ich den Mond sehen. Die Stadt sieht im Dunkeln immer fremd aus, als habe sie keinen Geruch, als blieben nur Ahnungen und Reste vom lauten, knarrenden Tag. Lene ging vor mir die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf, den Rucksack auf der einenSchulter, den anderen Arm nach vorne gestreckt, Vinces Hand in ihrer. Und ich immer achtsam dahinter mit dem Blick auf die Stufen, die Fenster, die Fußabtreter, es hatte sich nichts verändert. Der Geruch war derselbe, Vince schloss die Tür auf, und dann standen wir im Flur, betrachteten Lenes zueinander gedrehte Fußspitzen, Vince machte Licht in der Küche, ich nahm Lene den Rucksack ab und die Jacke, schmiss alles in die Ecke. Dann streifte sie sich die Schuhe von den Füßen, ging in ihr Zimmer und schloss hinter sich die Tür. Vince kam aus der Küche und schaute mich fragend an. Ich kam mir seltsam vor im Flur, also folgte ich ihm in sein Zimmer, stand eine Weile orientierungslos herum. Seine Jacke schmiss er aufs Bett, ich hatte immer noch alles an. Es war auf eine Art und Weise still, wie es immer still ist, wenn es eigentlich keinen Platz für Menschen gibt. »Ich geh mal nach Hause«, sagte ich. »Rufst du mich an, wenn etwas ist?« – »Natürlich«, antwortete er und schaute mich an, ich drehte
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