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Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)

Titel: Und Gott sprach: Wir müssen reden! (German Edition)
Autoren: Hans Rath
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dass er aus Osteuropa stammt: Frantisek Holler. Vielleicht ein Tscheche, denke ich und lasse mir kleine Chips für fünfzig Dollar geben. Mit etwas Glück komme ich damit über die nächste Stunde. Ich rechne beim Black Jack nie mit Gewinnen. Es reicht mir schon, wenn ich nicht allzu viel verliere. Ich lege einen Chip auf den Tisch, und Frantisek beginnt, die Karten zu verteilen.
    Eine Weile spielen wir schweigend. Nur das Vokabular des Black-Jack-Spiels ist in gedämpfter Lautstärke zu hören: «Hit. Stay. Bust.»
    Stoisch und im Tonfall eines Gebete vor sich hin murmelnden Mönchs zählt Frantisek die Punkte. Kommt es zu einem Black Jack, verkündet er das nicht nur ohne die geringste Begeisterung, er klingt dann sogar ein wenig resigniert, als wolle er sagen: Seht her! Das ist also nun mein Leben, ich spiele Karten mit gelangweilten Touristen.
    «Where do you come from?», fragt mein Sitznachbar. Sein österreichischer Akzent ist unüberhörbar. Außerdem stelle ich fest, dass er aus nächster Nähe wie ein Werwolf aussieht, der mitten in der Verwandlung steckengeblieben ist. Seine Augenbrauen sind jedenfalls genauso buschig und pechschwarz wie der Rest seiner Haarpracht.
    «From Berlin», antworte ich.
    «Ach, sieh an!», entgegnet er. «Ich komme aus Wien. Kennen Sie Wien?»
    «Ein bisschen», sage ich und hoffe, dass er meine Einsilbigkeit als Hinweis darauf versteht, dass ich mich gerade lieber nicht unterhalten möchte.
    «Gestatten. Albert Reiter», sagt er, erhebt sich dabei vom Hocker und reicht mir die Hand.
    Die Dame mit der Zigarettenspitze interessiert sich entweder nicht für unser Gespräch oder spricht eine andere Sprache. Sie nippt gelangweilt an einem großen Brandy. Frantisek wartet geduldig darauf, das Spiel fortsetzen zu können. Es schmeckt ihm offenbar nicht, dass wir plaudern, statt uns auf die Karten zu konzentrieren, aber als Croupier auf einem Kreuzfahrtschiff ist man vermutlich Kummer gewohnt.
    Ich ergreife die Hand des Wiener Werwolfs und erwidere: «Jakob Jakobi. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.»
    Er nickt und setzt sich wieder. «Und was machen Sie so, wenn Sie gerade nicht über den Atlantik schippern?», fragt er und tippt nebenbei auf den Tisch, um eine Karte anzufordern. «Beruflich, meine ich.»
    «Ich bin Psychologe, will mich aber beruflich perspektivisch neu orientieren», antworte ich und bedeute Frantisek mit einer kurzen Handbewegung, dass ich mit meinen siebzehn Punkten bedient bin.
    «Das ist ja ein Zufall», erwidert Reiter, sichtlich erfreut. «Ein Kollege, also. Ich bin nämlich auch Psychologe. Lehre und Forschung. Universität Wien.»
    Ich nicke höflich, sage aber nichts. Albert Reiter hat mir diesmal ausnahmsweise keine Frage gestellt, vielleicht können wir also jetzt wieder ein Weilchen schweigen. Außerdem hätte ich gern noch ein Glas Wein, weshalb ich damit beschäftigt bin, die Aufmerksamkeit des wahnsinnig unaufmerksamen Kellners zu erregen.
    Frantisek kommt mir zu Hilfe, indem er ein ebenso ruhiges wie verbindliches «Service» in Richtung Theke schickt, was den dort dösenden Barmann spontan in Bewegung versetzt.
    Während Frantisek erneut austeilt, sehe ich, dass Reiter nachdenklich wirkt. Ich befürchte, gleich wird er an unser Gespräch anknüpfen.
    «Jakobi», sagt er in diesem Moment gedehnt. «Sie sind aber nicht zufällig mit Bartholomäus Jakobi verwandt?»
    Ich habe befürchtet, dass das Gespräch diese Wendung nehmen könnte, denn in Fachkreisen ist der Name meines berühmten Vaters selbstverständlich ein Begriff. Deshalb passiert es mir auch andauernd, dass ich mich als sein überhaupt nicht berühmter Sohn zu erkennen geben muss.
    «Er ist mein Vater», sage ich nach kurzem Zögern und merke im gleichen Moment, dass der leise Groll, den ich seit Jahren bei solchen Gelegenheiten verspüre, urplötzlich verflogen ist. Hätte ich früher in einer Situation wie dieser das Bedürfnis gehabt, meinem Gegenüber das komplexe Verhältnis zwischen mir und meinem Vater darzulegen, so merke ich jetzt gerade, dass unsere ganze lange und schwierige Geschichte mit diesen wenigen Worten erzählt ist: Er ist mein Vater.
    Albert Reiter nickt anerkennend und merkt gar nicht, dass Frantisek schon wieder auf eine Reaktion von ihm wartet. Dann streicht der Wiener Psychologe durch seinen gewaltigen Bart und sagt: «Ich habe eine seiner Vorlesungsreihen in Wien besucht. Das muss Ende der Achtziger gewesen sein. Damals war ich von Ihrem Vater sehr, sehr
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