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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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Überschrift »Ein Wall gegen Hass und Not« über das Engagement von Inge Scholl, der Schwester von Sophie und Hans, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur Weißen Rose hingerichtet worden waren, wie auch der Mutter Magdalena Scholl, die in der Flüchtlingshilfe rastlos tätig war.
    Der dritte Artikel war eine Darstellung der materiellen Schwierigkeiten in der von den beiden anderen Westzonen hermetisch abgeschlossenen Französischen Besatzungszone. Er trug den Titel: »Hinter dem seidenen Vorhang«. Nachdem der Beitrag gedruckt war, gab es einen Protest im Alliierten Kontrollrat und ein kurzzeitiges Verbot der NZ in der Französischen Zone. Das war meine erste außenpolitische Verwicklung.
    Und auch sonst begann ich mich für das erwachende politische Leben zu interessieren. Parteien wurden neu oder wieder gegründet; ich besuchte sämtliche Veranstaltungen in München, die von Mitgliedern improvisiert wurden, und entschied mich für
die Freie Demokratische Partei. Denn »Freiheit« war ihr und mein Losungswort.
    Außerdem nahm ich an Treffen teil, bei denen es um erste christlich-jüdische Kontakte ging. Ich besuchte politische Vorträge in dem im Oktober 1945 eröffneten Amerika Haus in München oder Diskussionen in den von Kirchen neu errichteten Akademien. Durch Hans Werner Richter bekam ich Zugang zur berühmten Gruppe 47 , die sich mit der Erneuerung der deutschen Literatur nach der Nazidiktatur auseinandersetzte. Kurzum: Ich nahm alles wahr, was früher verboten war.
    Politik beschäftigte die meisten Menschen damals wenig. Hierzu ein anschauliches Beispiel vom Besuch meiner ersten Wahlversammlung im ländlichen Oberbayern: Die ersten kommunalen Wahlen sollten in dieser Region bereits im Frühjahr 1946 stattfinden, in den Städten folgten sie erst im Laufe des Jahres. Der Zufall wollte es, dass mich der damalige Münchner Oberbürgermeister Karl Scharnagl einlud, an einer Fahrt zu einigen Veranstaltungen der Bayerischen Christlich-Sozialen Union (CSU) an einem Sonntagnachmittag teilzunehmen. Vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte er der BVP angehört, der Bayerischen Volkspartei, bis er 1933 sein damaliges Amt als Oberbürgermeister niederlegen musste, kurzfristig im Konzentrationslager Dachau inhaftiert war, schließlich in seinem erlernten Beruf als Bäcker überlebte.
    Abgesehen von dem jeweiligen Dorfpfarrer, der uns mit Hilfe seiner Haushälterin bei dieser Wahlkampftour großzügig – sogar mit Schlagrahm, damals einer Rarität – bewirtete, erschienen zu den Versammlungen immer nur einige ehemalige BVP-Freunde von Scharnagl, die auf Urbayrisch schimpften. Scharnagl beschwor sie, dass es wichtig sei, einen christlichen Gemeinderat zu wählen, das sei doch schon ein großer Fortschritt. Mehr gab es nicht zu debattieren. Kein Wort über Frauen und Politik. Das aber hätte mich am meisten interessiert, da wir Frauen über das Wahlrecht unsere Zukunft immerhin mitbestimmen konnten. Doch selbst in der Großstadt München gab es in der Kommunalpolitik
noch keine einzige jüngere Frau. So blieb mir von meinen ersten Wahlveranstaltungen außer Enttäuschung nur mein gründlich verdorbener Magen in Erinnerung.
    »Mädle, Sie müsset in die Politik«
    Nach solcherlei wenig ermutigenden Aufbrüchen in die von den Besatzungsmächten gewünschte Demokratie folgten erste eigene politische Gehversuche. Die bahnten sich eher zufällig an. Im Oktober 1946 sollte ich für die Neue Zeitung Theodor Heuss, damals Kult(us)minister von Württemberg-Baden, über dortige Schulreformen befragen. Das Land war wie Bayern amerikanisch besetzt, und das Interview sollte in Stuttgart stattfinden.
    Heuss war humorvoll und kenntnisreich. Das Gespräch dauerte lange und gipfelte in der Erkenntnis, dass er für mich der erste Deutsche war, der sich trotz des Scheiterns der Weimarer Republik rückhaltlos für den Aufbau einer Demokratie im daniederliegenden Deutschland begeisterte. Beim Abschied gab er mir im sonoren Schwäbisch den Rat: »Mädle, Sie müsset in die Politik. « Womit, wie sich erweisen sollte, meine politische Lebensweiche gestellt war. Zwar nicht von heute auf morgen, aber anlässlich der bayerischen Kommunalwahlen im Frühjahr 1948 wurde ich vom Heuss-Freund Thomas Dehler, dem Gründer der bayerischen FDP, gefragt, ob ich nicht für den Münchner Stadtrat kandidieren wolle. Obgleich ich noch keine Ahnung von der Funktion eines Stadtrats hatte, wurde ich auf den sechsten oder siebten Platz der
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