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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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Grünen mit ihrer Idee einer 50-Prozent-Frauen-Quote und einem neuen Selbstverständnis ins Parlament ein. Die anderen Parteien zogen nach, und heute würde kein Mann es mehr wagen, die Frauengleichberechtigung in Frage zu stellen.

    Bild 1
    Willy Brandt war der erste Bundeskanzler, der auch in der Regierung »mehr Demokratie und Gleichberechtigung wagte«.
    Des ungeachtet wären noch vor wenigen Jahren eine Frau als Bundeskanzlerin, eine Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Frauen als Pastorinnen, Soldatinnen oder Pilotinnen undenkbar gewesen. Aber auch die freie Namens-, Berufs- und Wohnortwahl, das eigene Bankkonto oder der Zugang zu Führungspositionen in reinen Männerberufen sind nicht viel älteren Datums. Insgesamt waren all dies phänomenale Sprünge nach vorn! Voraussetzung hierfür waren das Grundgesetz, die Bildungsemanzipation – und die Pille.

    Nach jahrzehntelangen Frustrationen war der dann erfolgte Aufbruch der Frauen in den siebziger und achtziger Jahren fast eine Sensation. Als ich 1967 als Staatssekretärin nach Hessen berufen wurde, rauschte noch der deutsche Blätterwald; heute wäre eine solche Berufung kaum einen Einspalter wert. Und als ich neun Jahre später als erste Staatsministerin und politische Vertreterin des Ministers ins Auswärtige Amt berufen wurde, da war dies eine Novität, von der Beobachter meinten, Frauen könnten eine solche Position nicht bewerkstelligen, und mit Sicherheit würde es deshalb auch nicht lange dauern, bis ich wieder weg wäre. Aus dem »nicht lange dauern« wurden über sechs Jahre, und es endete mit dem von der FDP herbeigeführten Bruch der sozialliberalen Koalition.
    Trotz aller positiven Entwicklungen gab es für Politikerinnen immer wieder bittere Rückschläge: Drei Kandidaturen von Frauen für das Amt des Staatsoberhaupts scheiterten. Die erste weibliche Ministerpräsidentin, Heide Simonis, wurde – schäbig und klammheimlich – abgewählt, und viele qualifizierte Frauen bestanden die scheinbar unvermeidbaren Härtetests nicht. Obgleich ich an sich keine Befürworterin von Quoten war und bin, erkenne ich an, dass es ohne die rigorose Frauenquote der Grünen nicht so rasch vorangegangen wäre.
    Am meisten zu bewundern ist – und das uneingeschränkt – der Aufstieg von Angela Merkel. Ich habe während meiner sechs Jahre als Staatsministerin im Auswärtigen Amt in vielen Kabinettssitzungen erlebt, welche schier übermenschlichen Kräfte dieses Amt physisch und psychisch erfordert, einschließlich der Anforderungen an Gesundheit, Nerven, Stehvermögen und Sitzfleisch, von der politischen Allroundpräsenz und -kenntnis ganz zu schweigen. Ich hätte es mir nicht zugetraut. Die Kanzlerin ist all dem gewachsen, das mache ihr mal ein Mann nach! Desgleichen ihr Krisenmanagement, das ich allerdings nicht immer gutheißen kann.
    Bewährungsproben in Männerdomänen
    Die Anforderungen an meinen Beruf als Politikerin waren enorm und vielfältig. Besonders Wahlkämpfe und die damit verbundenen Strapazen waren der reinste Hochleistungssport. Ungezählte von ihnen stand ich durch, nur von einem besonders spektakulären soll berichtet werden.
    Es war 1962, mein vierter Landtagswahlkampf. Eine turbulente Legislaturperiode lag hinter mir, in der ich um Akademisierung und Entkonfessionalisierung der Volksschullehrerausbildung gestritten hatte. Im Sommer wurden die Listen der Kandidaten aufgestellt. Nicht öffentlich natürlich. Die Vorstände in der oberbayerischen FDP waren jedoch von einer strammen Ex-Nazi-Clique unterwandert und hatten durch Manipulation der gewählten Delegierten geplant, die beiden erklärten Anti-Nazis der Fraktion derart schlecht zu platzieren, dass sie keine Chance hätten, wiedergewählt zu werden. Und so landeten der angesehene ehemalige Richter Otto Bezold und ich bei der Aufstellung der Liste auf aussichtslosen Plätzen; mir wurde der hoffnungslose Platz 17 zuteil.
    Die FDP hatte die Aussicht auf höchstens vier Abgeordnetenmandate. Meine Chance zur Wiederwahl wäre gleich null gewesen, gäbe es da nicht das bayerische Wahlgesetz, durch das der Wähler mit seiner zweiten Stimme einen gewünschten Kandidaten ad personam ankreuzen kann, gleich auf welchem Platz der- oder diejenige steht. Um das zu nutzen, hatten sich politische Freunde von mir zu einer Wählerinitiative zusammengeschlossen und für meine Wiederwahl geworben. Die Namen auf der Unterstützerliste waren eindrucksvoll. Die Nobelpreisträger Werner Heisenberg und Adolf
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