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Und das Leben geht doch weiter

Und das Leben geht doch weiter

Titel: Und das Leben geht doch weiter
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fest.
    »Detlev, ich mache mir solche Vorwürfe …«
    »Weshalb?«
    »Ich hätte mich anders verhalten sollen.«
    »Wann?«
    »Als ich mit dem Mädchen sprach. Das Ganze hier ist doch auf mich zurückzuführen.«
    »Sicher, aber …«
    »Siehst du, du sagst es auch«, fiel sie ihm ins Wort. »Jedes Wort von mir war verkehrt.«
    Tränen traten in ihre Augen. Tränen aber konnte Detlev jetzt am allerwenigsten brauchen.
    »So habe ich das nicht gemeint«, sagte er und fügte barsch hinzu. »Du konntest doch nicht wissen, daß Carola so reagiert. Mach dich also nicht verrückt. Los, komm jetzt, wir müssen weiter.«
    Der aufgeweichte Boden holte ihnen die Kraft aus den Gliedern. Der brausende Wind, der mal direkt von vorn, mal schräg von der Seite blies, tat ein übriges. Die Intervalle zwischen Laufen und Stehenbleiben verschoben sich. Die Laufstrecken wurden kürzer, die Pausen des Ausschnaufens länger.
    Da … war da nicht ein Kleid?
    Ganz weit hinten … ein helles Kleid … ein Fleck oben auf dem Rand des Deiches?
    Der Wind blies es hoch … oder war es etwas anderes, eine Wetterfahne?
    »Siehst du das, Yvonne?«
    »Was?«
    »Dort hinten … geradeaus auf dem Deich.«
    »Nein, ich sehe nichts.«
    »Weit hinten …«
    »Doch, ja … etwas Helles.«
    »Ein Kleid? Kann das ein Kleid sein?«
    »Schon möglich. Es bewegt sich. Das Mädchen hatte ein gelbes Kleid an.«
    Detlev legte die Hände trichterförmig an den Mund.
    »Carola!« brüllte er in den Dunst hinein. »Carooooola!«
    Nach zwei, drei Sekunden sagte Yvonne aufgeregt:
    »Es bewegt sich rascher – aber von uns weg.«
    Und wieder Detlev: »Caroooola … waaaarte!«
    Carola wartete aber nicht.
    »Caroooola …«
    »Waaaarte …«
    Das flatternde Kleid verschwand plötzlich von der Deichkuppe. Detlev zog Yvonne an der Hand mit sich fort.
    »Sie ist es«, keuchte er. »Sie hat uns gehört. Schnell, ehe sie …«
    Den Rest riß ihm eine Sturmbö von den Lippen.
    Es war ein Wettlauf mit dem Tod, das wußten die beiden. Die Lungen drohten ihnen zu bersten. Yvonnes Kondition war längst aufgebraucht, und auch Detlev dachte vor jedem Schritt, den er sich abrang, daß es für längere Zeit der letzte sein werde. Und dennoch erreichten die beiden verhältnismäßig rasch die Stelle, wo sie das Kleid gesehen zu haben glaubten. Es kommt eben immer auf die Situation an, ein Beweis dafür, daß der menschlichen Leistungsfähigkeit schier keine Grenzen gesetzt sind.
    Die Stelle war aber leer. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Detlev fing an zu fluchen. Yvonne bückte sich, um sich erschöpft zu Boden sinken zu lassen. Da sah sie einige sehr deutliche Fußabdrücke, die sich der feuchte Sand quasi nicht hatte nehmen lassen.
    Detlev war am Fluchen.
    »Kreuzdonnerwetter, wir müssen uns getäuscht haben, Sakra …«
    »Nein«, unterbrach ihn Yvonne, »da, sieh dir das an …«
    Sie wies auf die Abdrücke im Sand.
    Detlev besah sich die Spuren.
    »Sie stand hier und ist weggelaufen«, erklärte Yvonne.
    »Carooola!« schrie Detlev wieder in den Dunst hinein. »Sei vernüüünftig, komm heeer!«
    Carola war aber nicht vernünftig und kam nicht.
    »Mach keine Dummheiten, Carola!«
    Detlevs Stimme zeigte bereits Abnutzungserscheinungen, sie wurde schwächer.
    »Die muß noch hier in der Nähe sein«, meinte Yvonne. »Sie hält sich irgendwo versteckt. Sie kann in der kurzen Zeit nicht weit gekommen sein.«
    Groß stellte sich Detlev auf die Deichkuppe. Seine Haare flatterten im Wind, der Mantel schlug ihm um die Beine. Sie sieht mich, dachte er, während er über das Watt blickte und mit den Augen den Deich und die Marsch absuchte. Sie sieht mich, und solange ich in ihrer Nähe bin, wird sie nicht ins Meer gehen. Das weiß ich. Deshalb bleibe ich hier stehen, den ganzen Tag, wenn es sein muß, und nachts lasse ich Scheinwerfer aufstellen, bis sie vernünftig geworden ist.
    »Was machen wir?« fragte Yvonne.
    »Ich rühre mich hier nicht von der Stelle«, entgegnete Detlev.
    »Und ich?«
    »Geh zurück, steig in deinen Wagen und fahr nach Hause.«
    »Nein.«
    »Du kannst hier nichts mehr tun.«
    »Ich kann genausoviel tun wie du – oder genausowenig.«
    »Ich bleibe hier stehen.«
    »Ich auch«, sagte sie, hängte sich bei ihm ein und setzte ihre Haare ebenfalls dem Wind aus. Da diese viel länger als seine waren, flatterten sie wie eine Fahne.
    Stumm und lange standen Detlev und Yvonne Padenberg so auf dem Deich und starrten in den Dunst.
    Und irgendwo in einem Winkel
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