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Und das Leben geht doch weiter

Und das Leben geht doch weiter

Titel: Und das Leben geht doch weiter
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihr verletzter Stolz, die Drohung des Vaters, das Entsetzen der Mutter, von der noch gar nicht gesprochen worden war, das alles war so fürchterlich, so unerträglich, daß Carola nichts mehr davon wissen wollte. Dem großen Vergessen galt erneut ihr einzige Sehnsucht. Notwendig war aber, dem lästigen Jens hier irgendwie zu entgehen, ohne sein Mißtrauen zu wecken, ihn zu überlisten.
    Er fing plötzlich an, sich mit Selbstvorwürfen zu überhäufen.
    »Komm, Carola«, sagte er, »laß uns jetzt endlich gehen. Ich Idiot quatsche und quatsche hier und vergesse ganz den steifen Grog, den du brauchst. Verzeih mir.«
    »Einverstanden«, antwortete Carola mit einer Stimme, die schon von weit her zu kommen schien. »Ich möchte vorher nur noch einmal einen Blick auf das Meer werfen. Die Zeit der Flut ist angebrochen, weißt du. Dieses Bild vergißt man nicht, wenn das Meer zurückkommt und das Watt versinkt. Man muß aber, um das zu sehen, auf den Deich hinauf. Wartest du hier?«
    So dumm oder naiv war er nun auch wieder nicht.
    »Nein, ich komme mit, Carola.«
    Jenseits des Deiches gurgelte und gluckste es.
    »Hörst du das, Jens«, sagte Carola, »die Flut, wie sie näher und näher kommt?«
    Jens ging mit ihr über die Marsch, half ihr, den Deich zu erklimmen, und stand dann mit ihr oben auf der Kuppe. Im Dunst sahen sie die Umrisse der beiden Gestalten, in die bei ihrem Erscheinen plötzlich Leben kam. Die größere der Gestalten näherte sich ihnen.
    Carola blickte zur Seite und sah dem Schatten entgegen. Und dann – ganz plötzlich – warf sie Jens' Mantel von den Schultern und rannte, halb fallend, halb gleitend den Abhang des Deiches hinunter in Richtung Meer, der Flut entgegen.
    »Carola!« gellte Jens' Ruf über das Watt. »Carola!«
    Dann hielt es ihn nicht länger, und er rannte ebenfalls den Deich hinab, watete durch den Schlick des Wattenmeeres.
    Detlev Padenberg stand wie erstarrt und beobachtete stumm die Szene. Dann aber machte auch er einen Satz und kämpfte sich durch den Schlamm der fliehenden Carola entgegen.
    Die Priele hatten sich bereits mit Wasser gefüllt, langsam trat dieses über die Ränder und durchweichte den Schlick. Von ferne hörte man das Brausen des Meeres, und man konnte die Minuten an den Händen abzählen, bis es wieder an die Deiche donnern und die drei im Watt umherirrenden Menschen verschlingen würde.
    Padenberg, der ein hochgewachsener Mann war, versank bei jedem Schritt knöcheltief im Schlick. Das zehrte an seinen Kräften. Mühsam kämpfte er sich vorwärts. Nicht ganz so schwer hatte es der leichtgewichtigere Jens Kosten, der auch noch wesentlich jünger und damit in physischer Hinsicht ausdauernder als Padenberg war. Er kam schneller voran und blieb Carola auf den Fersen. Sie selbst hüpfte am leichtfüßigsten über die Priele und die saugende Schlammdecke. Mit einer fast an Eleganz grenzenden Leichtigkeit überwand sie alle Tücken des Watts und rannte mit flatternden Haaren dem gewaltigen Brausen zu – dem Meer entgegen.
    Erschöpft hielt Padenberg inne und blieb keuchend stehen. Er begriff, daß es ihm unmöglich war, Carola einzuholen. Seine Hoffnung, daß Carola gerettet würde, gründete nur noch auf den jungen Mann, der ihr stetig folgte. Da er ihn nicht von vorne, sondern nur von hinten sah, erkannte er ihn nicht. Wer immer du bist, junger Mann, dachte er, gib nicht auf, hol sie ein, halt sie fest, bring sie zurück, du entscheidest auch über mein ferneres Leben.
    Mit brennenden Augen, die Lippen fest zusammengepreßt, stand Detlev Padenberg im Schlamm und erwartete das Meer.
    »Detlev!«
    Ein dünner Schrei im Brausen der Elemente – des Wassers und der Winde – erreichte ihn; er war von hinten gekommen.
    Yvonne Padenberg war ebenfalls den Deich heruntergeklettert und stand nun am Rande des Watts.
    »Detlev!« schrie sie wieder. »Zurück! Die Flut kommt! Sie ist schon da!«
    Detlev hörte die Schreie seiner Frau, aber er wandte sich nicht nach ihr um. Mit starrem Gesicht stand er wie angewurzelt im Schlamm und blickte der Flut entgegen.
    Auch Carola und Jens hörten Yvonnes Rufe. Das veränderte die Szene. Beide verhielten den Schritt, blieben stehen, Jens etwa zehn Meter hinter Carola. Beide drehten sich um und sahen zwischen dem Deich und ihnen Padenbergs Gestalt, groß, unbeweglich, gegen den Dunst sich abhebend. Noch weiter hinten, am Fuß des Deiches, rannte ein Schatten verzweifelt hin und her.
    Nun erkannte Padenberg den jungen Medizinstudenten.
    Es
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