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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
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als wollte er das bescheidene afrikanische Pendant zu der roten weit Gereisten aus Chambayern erwürgen - mit dem Meistergriff eines Helden, dem er allerdings die Treue gebrochen hatte, seitdem er keine Comics mehr las. Einen Augenblick suchte David vergeblich nach dem Namen des verstoßenen Heroen. Dann trank er gierig und laut schluckend aus der Flasche. Obwohl das frisch abgekochte Wasser aus der Hotelküche noch warm war und es beim ersten Schluck auf sein Hemd tropfte, fühlte sich David erfrischt und erleichtert; es wunderte ihn, dass dies so war.
    Er nahm seine religiösen Pflichten sehr ernst. Seine liberalen Eltern hatten andere Maßstäbe. Zweifelten sie auch nicht an Gott, so suchten sie ihn auch nicht. Es reichte ihnen, dass sie sich hatten jüdisch trauen lassen und dass ihr Sohn beschnitten war. Am Freitagabend wären sie lieber ins Kino gegangen, statt den Sabbat auf traditionelle Weise willkommen zu heißen. So hatten sie es bis zu Rose’ zweitem Geburtstag gehalten, dann jedoch der Kinder wegen beschlossen, sich an die jüdischen Feiertage zu halten. »Es soll«, hatte Emil Procter erkannt, »ihnen nicht so gehen wie mir. Sie sollen schon als Kind wissen, wohin sie gehören.« Für die Freitagabende kochte Granny Gram Gramps Hühnersuppe und machte, wie einst vor der Vertreibung aus Cham, einen Schmorbraten. Zu Pessach gab es acht Tage lang Matzot statt Brot, an Rosch Hashanah Apfel mit Honig. Jom Kippur wurde gefastet. »Ein Miniprogramm«, beschrieb es der Hausherr in dem Jahr, da das Wort Mini zum Schlager der Saison wurde.
    Er und seine Frau waren nicht erfreut und sehr verunsichert, als ihnen aufging, wie eng sich David an Rabbi White angeschlossen hatte. Beide Eltern lasen die Spuren und runzelten öfters die Stirn, aber sie ahnten nichts vom Weg, den ihr Sohn einschlagen würde. Und doch war dieser David kein von Gott Auserkorener, kein Heiliger. Er rüttelte mit der gleichen Vehemenz und der gleichen Lust an den Fundamenten der Welt wie jeder andere vierzehnjährige Junge. Fremden schien er auffallend höflich und wohltuend bescheiden, doch diejenigen, die sich mit den jungen Wilden seiner Generation auskannten, merkten sofort, dass auch er ein unverdrossener, zu allem entschlossener Barrikadenstürmer war. Nur selten kam es dem jungen Mister Procter in den Sinn, den Wundern der Welt seine Reverenz zu erweisen.
    Schönheit erreichte ihn nicht, weder in der Natur noch in der Kunst. Auch seine Seele suchte die Schönheit nicht. Er war ebenso ungeduldig mit sich selbst wie mit anderen, unzufrieden und schnell gelangweilt, beschämt und hilflos, wenn ihm aufging, wie sehr er andere Menschen kränkte, und dann erst recht aggressiv. Dieser David der vielen Widersprüche war vom Schicksal mit einem besonders liebenswerten Vater bedacht worden. Seine Stimme blieb selbst bei heftigen Auseinandersetzungen sanft. Ideale Ergänzung dazu war die immer kompromissbereite Mutter. Sie prüfte jeden Einwand, den sie machte, mit der Methodik der Mathematikerin, die sie hatte werden wollen, scheute sich nie, einen Fehler zuzugeben, und schon gar nicht, sich dafür zu entschuldigen. Vor allem kam es ihr nie in den Sinn zu glauben, die eigenen Erfahrungen wären pädagogisch wertvoll und für ihre Kinder von Interesse. Tochter Rose begriff beizeiten, welcher Glücksstern ihren Familienhorizont erhellte, doch David ließ sich nur selten eine Gelegenheit entgehen, sein Nein ins Leben hinauszuschreien.
    Das Hotelzimmer war heiß, das Licht in der Ferne weiß und flirrend und auf eine irritierende Art erregend. Schwer atmend versuchte David, das Fenster zu öffnen, doch der Metallknopf, den er hätte drehen müssen, ließ sich nicht bewegen. Ein grüner Käfer, größer, als er je einen gesehen hatte, klebte an der beschlagenen Scheibe. Der Forscher aus europäischen Gefilden begann, die Beine zu zählen, kam erst auf fünf, dann auf sieben und drehte sich indigniert von seinem afrikanischen Herausforderer ab. Übellaunig starrte er ein in Ebenholz gerahmtes Farbfoto über dem Bett an. Es zeigte zwei mit Speeren bewaffnete Krieger, im Hintergrund den Kilimandscharo mit einer Decke aus leuchtendem Schnee, von der Sonne bestrahlt und vom Himmel gesegnet. Der Perlenschmuck der Massai war besonders prächtig, die Haut von Stirn und Armen leuchtete ockerrot; die Spitzen der Waffen funkelten im Licht einer Sonne, die noch nicht ihre volle Höhe erreicht hatte. David, der durch Raum und Zeit geflogen war, ließ sich keinen
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