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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
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weiter in einen Irrgarten, den er sich zu betreten scheute, doch verscheuchten die ungewohnten Exkursionen auch Grillen und die Düsternis des Gemüts. Einen Moment stellte sich David sogar Gott auf einem Stein sitzend mit einem riesigen Buch vor, in dem er die Lösungen zu den Welträtseln vermerkte.
    Ihm gefiel das Bild, und er lächelte - unbefangen, unschuldig, erheitert. Er spürte das Leben, fühlte sich frei und leicht, auch von Ketten befreit, die er erst im Moment der Erlösung wahrgenommen hatte. Da jedoch hörte er sein Herz schlagen, schnell und dumpf, und nach jedem trommelnden Ton ging ihm auf, was tatsächlich geschehen war. David senkte den Kopf; er schämte sich seines Frevels. Wie ein Kind hatte er sich verhalten, hatte sich ein Bild gemacht von dem, der keine Bildnisse gestattete. Der Sünder hörte die Wände seine Schuld hinausschreien. Unsichtbare Botschaften wurden auf dem Spiegel sichtbar. Er las sie schaudernd und presste die Augen zu, wollte die Buchstaben im Feuerlicht für immer verbannen, doch die Lider konnten die Dunkelheit nicht lange genug halten. Schon sah der Gestrauchelte zuckende Pfeile mit sonnengelben Spitzen und schneeweiße Sterne an einem Himmel aus Speerspitzen. Mit Händen, die zitterten, schützte er sein schweißnasses Gesicht.
    David hörte sich atmen. Unmittelbar darauf vernahm er ein wütendes Fauchen, das ihn taub und wehrlos und klein machte. Angst, wie er sie noch nie erlebt hatte, umklammerte ihn. Das Furchtbare erdrückte ihn, machte seine Arme bleischwer, lähmte die Beine, schüttelte den Körper. Er wollte schreien, so laut, bis die Wände einstürzten wie die Mauern von Jericho. Nicht ein einziger Ton kam aus seiner Kehle, und doch ließ der wilde, fauchende Drache von ihm ab. Das Ungeheuer spie weder Feuer noch Rauch.
    Es war besiegt. Nur ein Wimmern, ein kläglicher, lächerlicher weinender Ton, blieb zurück.
    Wimmerte da ein Kind oder seufzte nur ein Stück Vergangenheit, das nie mehr wieder kommen würde? Der Jüngling, der seinen Bogen mit leuchtenden Pfeilen gespannt hatte, straffte seine Schultern. Er suchte seine Oberarme nach Muskeln ab. Mit dem Wasser des Lebens glättete er sein Haar, und er hatte Freude an dessen rötlicher Farbe. So sorgfältig, als wäre er in Schuluniform und müsste zum morgendlichen Appell antreten, stopfte er das Hemd in die Hose; er stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu prüfen, ob er gewachsen war. Seine grünen Augen signalisierten Zustimmung. Feixend salutierte er dem Beau im Spiegel. Mit festen Schritten verließ der Kämpfer die Arena, in der er ein Mann geworden war.
    »Hello, St. George«, sagte der Sieger.
    Einen Moment stand er unschlüssig im Flur. Schon hörte er die Eltern reden, Rose lachen. Alle drei hatten hohe, fröhliche, erwartungsvolle Stimmen, Ferienstimmen. Gut gelaunt lauschte der Drachenbezwinger den Gesprächsfetzen, zweimal hörte er seinen Namen. Stolz machte ihn groß, die Schultern breit und kräftig. Mit zwei Fingern klopfte er an die Tür, und ohne die Antwort abzuwarten, drehte er den Messingknauf, einen auf Hochglanz polierten Löwenkopf.
    »Jambo«, sagte David.
    Keiner der drei fragte, weshalb er schon ein Suaheliwort kannte und woher. Selbst Rose lächelte ihn an, als sei Geschwisterfreundlichkeit selbstverständlich. Nur seine Mutter musste noch lernen, dass sie einen erwachsenen Sohn hatte. Sie tastete seine Stirn ab, scheute auch nicht vor dem Seufzer aller erleichterten Mütter zurück und fragte: »Bist du wieder okay, David? Wir haben doch morgen eine weite Reise vor uns. Glaubst du, du wirst schon wieder was essen können?«
    Der Vater wusste, weshalb er grinste. Als sein Sohn sich von dem Zugriff der besorgten Mutter befreite, fragte er: »Kommst du mit mir in den Garten, David? Vielleicht gelingt es dir, mir beizubringen, wie das Nest heißt, in das wir morgen fahren müssen. Und was wir dort wollen.« »Londiani, Dad. Das kann hier doch jedes Kind sagen. Deine Frau ist dort aufgewachsen. In Londiani steht sozusagen unser Familienschloss.«
    »Stand«, verbesserte die, die das Ziel ausgesucht hatte.
Der Stachel der Wehmut
Die Tücke der Erinnerungen
Samy und Martha
Morgens um sieben
Der Irrtum
Davids Aufbruch
Zimmer mit Meeresblick
Merci, Minouche!
Die Heimkehr

Der Stachel der Wehmut
Nakuru 1967
    »Noch drei Stunden bis zur Befreiung aus der Sklaverei«, sagte Liesel Procter geborene Freund, im Jahr 1945 die beste Mathematikerin der Abgangsklasse an der Nakuru School. In
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