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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo
Autoren: Stefanie Zweig
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Wimpernschlag lang von der körperlichen Geschmeidigkeit afrikanischer Jugend beeindrucken. Er spürte weder des Lebens Schwung noch dessen Herzschlag. Keinen Blick hatte er für die Unendlichkeit und die einmalige Schönheit der Landschaft, in der die hoch gewachsenen Massai, einem Denkmal gleich, so dicht nebeneinander standen, dass aus zwei Körpern einer wurde. »Hallo«, sagte David trotzdem. »Sorry, Jambo«, verbesserte er und verneigte sich ironisch. Er kicherte - wie er fand, besonders albern und mädchenhaft. Es war die Verlegenheit eines Reisenden, der noch keinen Halt hat und der sich nach Schutz sehnt.
    Die zwei Korbsessel, die vor einem kleinen runden Tisch mit drei gedrechselten Beinen standen, steigerten seine Aggressivität. Das leichte Sommermobiliar ließ ihn, was er seinem Gedächtnis besonders verübelte, an die Loggia im Elternhaus seines Mitschülers Ashley Kenneth Alan Pinkerton denken. Das Gehabe dieses feinen Knaben pflegte
    David ebenso übertrieben zu erscheinen wie der Umstand, dass er zu Hause stets mit sämtlichen drei Vornamen angeredet wurde. David hielt sich die Nase zu, wippte ein bisschen mit seinem Oberkörper und klopfte mit zwei Fingern leicht an seine Stirn. Näselnd sagte er leise »Ashley« und laut »verdammter Bastard«.
    Er überlegte manchmal, in welche Lage ihn eine solche Familientradition von Aufzählung bringen würde. Um die Großväter zu ehren, die lange vor seiner Geburt gestorben waren, hieß er außer David noch Siegfried und Ludwig. Als kleiner Junge hatte ihn das sehr geniert. Nun war ihm die Kuriosität in seinem Leben gleichgültig, doch acht in der Schule verbrachte Jahre hatten nicht ausgereicht, um seine beiden deutschen Vornamen schreiben zu lernen, ohne dass er nachschlagen musste.
    Die Pinkertons lebten in Kensington; sie waren so vornehm wie ihre feine Wohngegend. Alle sechs Monate drängte es den Junior dieser angesehenen Familie ins gesellschaftliche Rampenlicht. Für David waren dessen Einladungen allerdings ebenso lästig wie die Einkäufe zu Beginn des Schuljahres, um Teile der Schuluniform zu erneuern, oder die Kurse in erster Hilfe, auf denen neuerdings der Leiter der Pfadfindergruppe bestand. Allgemein wurde empfunden, dass Festivitäten im Haus von Major Pinkerton das Sozialprestige von Gästen erhöhten, die zu Hause weder Butler noch Mütter hatten, die in der Bond Street einkauften. Bei fast allen Jungen in der Klasse galten die Einladungen durchaus als Vergnügen. Außerdem hätte keiner die Courage gehabt, Ashley Kenneth Alan einen Korb zu geben. Zu seinem Geburtstag und am ersten Weihnachtstag lud er sämtliche Mitschüler in das herrschaftliche Tu-dorhaus ein, in das einer seiner Vorfahren unmittelbar nach der Schlacht von Waterloo eingezogen war. Die Geburtstagsfeiern im Juni fanden entweder auf dem Prachtrasen oder in einem Pavillon mit nachempfundenen dorischen Säulen statt, und in diesem Ambiente hatten die paar Gäste, die sich weniger wohl fühlten als der Gastgeber, ausreichend Gelegenheit zum unauffälligen Rückzug. Weihnachten war für David und seinen Freund Nat Glueck sehr viel diffiziler. Je älter sie wurden, desto peinlicher war es ihnen, unter üppig dekorierten Tannenbäumen zu feiern und ausgelassen nach jungen Damen Ausschau zu halten, die sie gemäß englischer Weihnachtstradition unter dem Mistelzweig am Türbogen zum Esszimmer zu küssen hatten. Der junge Hausherr sorgte für weitere Irritation: Nach der umfangreichen Parade seiner eigenen Geschenke führte er den Anwesenden die Sammlung griechischer Ikonen seines Großvaters vor, anschließend die Jagdtrophäen seines Vaters, der außer einem Büffel und einem Leoparden im Vorjahr einen Tiger erlegt hatte.
    »Entweder in China oder irgendwo in Indien«, hatte Pinkerton geschnieft, während er an einer Zigarette der Marke Craven A, die aus der mütterlichen Handtasche stammte, Selbstbewusstsein sog, »ich kann doch die beiden verdammten Länder nie auseinander halten.«
    David seufzte. Wann immer er an Pinkerton junior dachte, beschämte es ihn, dass er nie den Mut aufbrachte, zur richtigen Zeit den Kopf zu schütteln. Er schaute noch mal zu den Massaikriegern hin. Sie gefielen ihm, was ihn erstaunte, besser als zuvor, und eine Weile grübelte er, ob jedes Land auf der Welt wohl seine spezifischen Rätsel hätte und wer alle diese Rätsel lösen sollte, ohne verrückt zu werden. Seine Phantasie, zu Hause meistens ein gut dressiertes Ross, trieb ihn nun immer
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